Zu Besuch im Sigmund Freud Museum Wien
„Jetzt war ich schon so oft in Wien, und noch nie im Sigmund Freud Museum!“ Genau das ist mein Gedanke bei meinem letzten Wienbesuch Mitte Jänner. Ich bin der Meinung, dass dieses Museum für alle geschichtsinteressierten PsychologInnen und PsychotherpeutInnen ein Muss ist, und vor allem ist es ein Muss für mich. Nicht, weil ich Freud bewundere (er wäre stolz auf meine nicht-infantile Haltung 😉 ), sondern weil er eine wichtige, aber umstrittene Person in meinem Bereich ist. Im naturwissenschaftlichen Psychologiestudium in Graz lernt man ihn zunächst hassen, um dann in der Praxis draufzukommen, dass seine Ansätze doch ihre Berechtigung haben. Um mehr über ihn als Person zu erfahren, mache ich mich also auf in den 9. Bezirk in die Berggasse 19, denn dort befindet sich das Sigmund Freud Museum Wien.
Übersehen kann man das Wohnhaus nicht, daran hindert einen ein großes rotes „Freud“-Schild. Also rauf in den ersten Stock und läuten. Es ist ja fast so, als hätte ich einen Termin in seiner Praxis – denn da muss man ja auch oft anläuten (zumindest ist das bei mir in der Praxis so 😉 ). Im Eingangsbereich weiß man dann aber wieder, dass es keine Praxis, sondern ein Museum ist, was zum einen an der Ticketkasse liegt (sowas käme mir nicht ins Haus!), aber auch den deutlich geringeren Preisen als für eine Therapiestunde. Um 10€ bekommt man bei TherapeutInnen höchstens einen warmen Händedruck, hier ist man im Praxisraum des Urvaters der Psychotherapie höchstpersönlich!
Als Reisepsycho im Sigmund Freud Museum Wien
Nachdem mir die Museumsmitarbeiterin sehr nett den Rundgang erklärt hat, mache ich mich, bewaffnet mit einem Audioguide, auf den Weg in das ehemalige Vorzimmer. Dies ist größtenteils noch originalgetreu erhalten, und hier erfahre ich zum ersten Mal von der netten Stimme im Audioguide, dass Freud offenbar gern gereist ist. Er hat auch auf seinen Reisen die Menschen „studiert“ und erforscht. Die Neugier am Vergangenen und der Gegenwart war ihm also nicht nur in seiner Arbeit eigen, sondern auch auf Reisen. „Wie cool“, denk ich mir, „ein Reisepsycho wie ich!“ Nicht dass ich mich mit dem Großmeister des Unbewussten messen möchte, aber ich finde diese Parallele doch sehr befriedigend, denn sie gibt mir Recht.
Die Räume und was fehlt
Es geht weiter in den Warteraum. Ich bewundere die Fotos und erfahre, dass sich hier in diesen Räumlichkeiten die psychologische Mittwochsgesellschaft getroffen hat, eine Runde von Wiener Psychoanalytikern. Heute ist zwar Dienstag, aber nachdem die Treffen schon über 100 Jahre her sind, würde ich am Mittwoch nun auch nichts versäumen. Genau betrachte ich die Bilder, obwohl ich ja außer Freud und manchmal C.G. Jung niemanden darauf erkenne.
Dann trete ich ein in den Praxisraum. Was ich zum Glück schon vorher gewusst habe ist, dass die berühmte Couch nicht hier im Freud Museum Wien steht. Da ist nur ein Bild angebracht, und man muss schon seine Phantasie anstrengen, um sie sich in dem Raum hier vorzustellen. Die Couch war sein Heiligtum, deshalb hat er sie bei seiner Flucht 1938 mit nach London genommen, wo sie nach wie vor im dortigen Freud Museum steht. Wer das Teil aber hier erhofft, könnte enttäuscht sein. In dem Fall enttäusche ich euch jetzt gleich mal, dann könnt ihr das Museum bei einem Besuch unbeschwert genießen 😉 .
Etwas irritiert bin ich von den roten Wänden im Praxis- und Arbeitszimmer. An den Bildern erkennt man zwar nicht die Farbe der Räume damals, aber sie dürften zumindest ziemlich voll gewesen sein mit dunklen Möbeln. Das ist ja ein ordentlicher Kontrast zu den grün-grauen Wohlfühloasen heute, aber entsprach sicher der damaligen Einrichtungsmode.
Private Einblicke
Im Arbeitszimmer ist der Fluchtgeschichte der Freuds ist viel Aufmerksamkeit gewidmet. Was ich bisher nicht gewusst habe – und hier erfahre – ist, dass sich Freud als Unterstützer der Sozialdemokraten schon lange vor dem ersten Weltkrieg keine Freunde aus konservativen Kreisen gemacht hat. Es steht zwar direkt nirgends, aber ich vermute, Freud hat den Irrsinn der aufsteigenden Nazis und Faschisten schon sehr früh erkannt. Mit Einstein stand er in Kontakt, die beiden schrieben sich Briefe zur Frage „Warum Krieg?“ Er hat sich nicht nur für eine sexuelle und religiöse Befreiung eingesetzt, sondern auch eine humanistische Politik. Ein ungemütlicher Rebell, sehr sympatisch! Aus diesem Grund war er nach dem Anschluss Österreichs den Nazis aber auch ein Dorn im Auge. Mithilfe prominenter finanzieller Unterstützung durch Marie Bonaparte konnte er mit seiner Familie 1938 nach London fliehen. Leider starb Sigmund Freud im Jahr darauf an seinem Krebsleiden.
Nachdem ich mit seiner Familiengeschichte nun vertrauter bin und mir im Videoraum auch erstmals bewegte Bilder von ihm anschaue, gehe ich weiter in die Sonderausstellung „Der Wohnung geht es gut“. Ja, offenbar. Schön aufbereitet darf man hier die Geschichte der Wohnung und ihrer Erweiterung und Veränderung verfolgen. Denn die Räumlichkeiten waren nicht nur Praxis, sondern auch Wohnraum, wo Freud mit seiner Frau und den vier Kindern samt Helferlein wohnte. Ich flaniere durch die großen, hohen Altbauräume und lese nicht jeden, aber einige Briefe. Diese haben sich die erwachsenen Kinder untereinander geschrieben, aber auch mit dem Herrn Papa gab es Austausch, wenn er mal wieder unterwegs war.
Zufriedener Abschied
Nach etwas über einer Stunde bin ich durch, habe viel gelesen und gelernt. Ich habe auch das Gefühl, das Wirken und Schaffen Freuds jetzt noch ein wenig besser zu verstehen. Es ist mir einfach näher. Hat sich ausgezahlt, dieser Besuch. Es ist ein leises Museum, ein kleines. Unspektakulär, aber sehr authentisch. Ich mag das. Jemandem, der sich nicht gern mit den kleinen Dingen beschäftigt, der eine Sensation erwartet oder viel Multimedia, könnte hier fad sein. Ein bisschen Interesse für Freud muss man halt schon auch mitbringen. Ich hab mir aber sagen lassen, dass die Führungen für höhere Schulklassen gut ankommen. Mir hat´s jedenfalls gut gefallen.
Ich schau mich im Shop noch ein wenig um, der weniger Krimskrams, als interessante Lektüre anbietet und beschließe, für meine LeserInnen und Leser ein Buch über Freuds Reisen und eine Schokolade mitzunehmen, welche ich verlosen werde. Aber erst, nachdem ich selbst im Buch geschmökert habe – gesunder Egoismus, Freud wäre schon wieder stolz auf mich 😉 .
Psychologische Effekte des Besuchs im Sigmund Freud Museum
Dabei konnte ich mich verlieren: Fluchtgeschichten machen mich immer sehr traurig und gleichzeitig wütend auf das vertreibende Regime – besonders wenn sie so greifbar und konkret dargestellt sind wie hier.
Da hab ich mich selbst gefunden: Einfach beim Herumgehen, Lesen und Eintauchen ins Leben der Familie Freud. Der Frieden und die Ruhe, die dieses kleine Museum ausstrahlt, haben total auf mich abgefärbt.
Besonders intensiver Eindruck: Das Video, welches in einem kleinen Raum gezeigt wird. Wenn ich mich recht erinnere, ist es das einzige bewegte Bildmaterial von Freud, kommentiert von seiner Tochter Anna.
Lernerfahrung für mich: Schön zu wissen, dass ich die gleiche Meinung vom Lernen über Menschen auf Reisen vertrete wie der große Herr Freud 🙂 . Dass er so viele Erkenntnisse auf Reisen gewonnen hat, wusste ich nicht und beeindruckt mich.
Drei wesentliche Gefühle dieses Besuchs: Interesse, Ruhe, Mitgefühl
Nützliche Links
Alle Infos zu Öffnungszeiten, Preisen usw. findest du auf der Homepage des Museums.
Bücherempfehlung:
Du willst noch mehr über Wien wissen? Dann schau dir mal meinen Lieblingsspaziergang durch Wien an 🙂
Das ist Barbara, eine reisesüchtige Psychologin. Sie liebt Sonne, Italien, gutes Essen und Wein. Und denkt gern über sich selbst und andere nach. Meistens mag sie sich ganz gern und plant ständig irgendwelche Reisen.