Rücksichtlos und peinlich – über Fehlverhalten auf Reisen
Reisen kann kulturelles Verstehen fördern. Wenn Reisende aus anderen Ländern höflich, respektvoll und interessiert sind, können beide Seiten davon profitieren. Die Annahme, dass der Kontakt zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen Vorurteile abbauen kann, stimmt allerdings nicht immer: Wenn sich Reisende so verhalten, dass sich Gastgeber und Einheimische genervt, beleidigt oder gar geschädigt fühlen, führt das unweigerlich zu Problemen. In diesem Artikel beleuchte ich Fehlverhalten auf Reisen von der psychologischen Seite – von Leichtsinn bis zur vorsätzlichen Kriminalität.
Reisende kennen das: Andere Urlauber zeigen ultrapeinliches Verhalten, man selbst versucht sich nicht als Landsmann oder -frau zu erkennen zu geben und es steigt einem direkt Fremdschamesröte ins Gesicht. Manchmal sind es „nur“ nervige Verhaltensweisen wie um 5 Uhr früh reservierte Liegen, manchmal verletzte kulturelle Normen wie bekletterte und beschmierte Tempelruinen, und manchmal wirtschafts- und umweltschädliches Verhalten, welches auch mit Sanktionen belegt ist. Warum benehmen sich Menschen auf Reisen so daneben? Was steckt hinter der Respektlosigkeit im Urlaub?
In meinem Hauptjob als forensische Psychologin habe ich täglich mit Kriminalität zu tun. Nun hat es mich aber auch interessiert, wie es mit deviantem Verhalten auf Reisen ausschaut: Was sind die grundlegenden und begünstigenden Faktoren, in welche Gruppen kann man Fehlverhalten auf Reisen einteilen und was kann man tun, damit es gar nicht erst soweit kommt? All diese Fragen versuche ich in diesem Artikel zu beantworten.
Zur Info: Die Bilder in diesem Beitrag sind KI-generiert. Etwaige komisch aussehende Abweichungen oder Sinnlosigkeiten bitte im Lichte dieser Information betrachten 😉 .
Über Fehlverhalten auf Reisen allgemein: Normverletzung, Devianz und Vandalismus
Deviantes Verhalten
Deviantes Verhalten gründet auf mehreren Faktoren, darunter etwa biologische, (entwicklungs)psychologische, soziale, ökonomische und umweltbedingte. Wie auch bei anderen Phänomenen trifft also Persönlichkeit (die man einerseits mitgekriegt hat, die aber auch aus frühen Einflüssen heraus entsteht) auf das Außen (Umwelt, Gesellschaft usw.).
Gibt es in der Persönlichkeit gewisse Risikofaktoren für deviantes Verhalten, tritt das beim Zusammenspielt mit sozialen Faktoren zutage. Bekannte Risikofaktoren sind z.B. niedrige Intelligenz, Impulsivität oder Externalisierungstendenz („schuld sind die anderen“). Als externe Einflussfaktoren können etwa Strafen (sozialer oder justiziabler Art), die Kriminalitätsrate oder Ungleichheiten in der Gesellschaft gelten.
Devianz bedeutet im weitesten Sinne einfach „abweichendes Verhalten“ oder „Fehlverhalten“. Es beschreibt die Tatsache, dass eine gezeigte Verhaltensweise von der Norm abweicht und meint dabei sowohl gesetzliche als auch ungeschriebene, soziale Normen. Wird gegen das Gesetz verstoßen, spricht man von Delinquenz bzw. Kriminalität, alles andere gilt einfach als allgemeine Normverletzung (kulturelle, ethische, religiöse oder soziale Normen).
Kriminalität vs. Normverletzung
Wenn wir von Fehlverhalten auf Reisen sprechen, kann man ebenfalls grob in diese zwei Kategorien unterteilen: in kriminelles und in normverletzendes Verhalten. Es kann weit gefasst werden, von legal zu illegal, von universalgültig bis situativ angepasst. Nicht jede Respektlosigkeit ist auch kriminell, und manche Verhaltensweisen kommen an manchen Orten oder speziellen Situationen häufiger vor als in anderen.
Wenn man über Normverletzungen spricht, kann man weiter unterteilen in die Verletzung von generellen Normen vs. Verletzung von gruppenspezifischen Normen. Die Verletzung einer generellen Norm wäre z.B. Unfreundlichkeit gegenüber Servicepersonal, während eine gruppenspezifische Norm oft auf eine Kultur, Örtlichkeit oder Zielgruppe beschränkt ist. In Wien zum Beispiel gilt das ungeschriebene Gesetz, dass man auf Rolltreppen immer rechts steht – das wissen zum Ärger der Wienerinnen und Wiener nur wenige Reisende und sorgen damit für die Verletzung ihrer sozialen Norm und damit für Unmut. Einige unverschämt wirkende Verhaltensweisen haben also mit kultureller Etikette zu tun – was zuhause ok ist, ist es woanders nicht.
In Bezug auf kriminelles Verhalten gibt es natürlich eine große Bandbreite. Vom gestohlenen Handtuch im Hotel, das zwar Schaden anrichtet, aber als Bagatelldelikt gewertet werden kann, bis hin zu sexueller Ausbeutung, Drogenschmuggel und Körperverletzung ist alles bekannt. Hierbei sollte allerdings unterschieden werden in Touristen, die sich kriminell verhalten und Kriminelle, die sich als Touristen tarnen. Erstere fallen besonders häufig im Zusammenhang mit Vandalismus auf – ein Thema, das ich weiter unten behandle. Auf letztere gehe ich in diesem Artikel nicht ein, da es einfach das Ausmaß sprengen würde.
Deviante Verhaltensweisen von Reisenden können erhebliche negative Folgen haben, sowohl im Kleinen wie auch im Großen. Man denke zum Beispiel an einen alkoholisierten Pöbler im Flugzeug: Muss das Flugzeug wegen ihm Zwischenlanden, betrifft das die Fluglinie selbst, alle Mitreisenden und auch jene, die zeitgerecht mit der Maschine wieder zurückfliegen wollten. Unfreundlichkeit gegenüber der Barfrau hat vielleicht nur Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden und ihre Arbeitsmoral, während gewisse Partywochenenden in bestimmten Orten die gesamte Polizei der Region auf den Plan rufen und die Versicherungen noch lange beschäftigen.
Fehlverhalten auf Reisen kann also Einfluss haben auf Bereich wie:
- Mitarbeiterbelastung & Fluktuation: Häufige Konfrontationen mit schwierigen Gästen führen zu Stress und erhöhter Kündigungsrate bei Mitarbeitern.
- Reputationsschäden: Negative Erlebnisse durch aggressive oder unhöfliche Gäste können das Image eines Unternehmens schädigen.
- Erhöhte Sicherheitskosten: Hotels, Clubs oder Restaurants müssen mehr für Security-Personal, Überwachung oder Versicherungen ausgeben.
Vandalismus
Vandalismus ist ein antisozialer Akt menschlicher Aggression, der aber keine kriminelle Intention braucht. Er gründet in Zerstörung von Dingen durch Hinzufügen (Müll, Graffiti, Gewalt) oder Wegnehmen (Mitnehmen von Sand, Steinen, Tieren, Pflanzen etc.). Es werden Spuren der Zerstörung hinterlassen. Der wirtschaftliche und soziale Schaden, den Vandalismus verursacht, kann auch die Tourismusindustrie negativ beeinflussen (siehe oben).
Vandalismus im Tourismus ist aber kein neues Phänomen, man kannte es bereits in der Antike. So fand man etwa Graffitis von Griechen an den historischen Stätten von Persepolis im heutigen Iran.
Um Vandalismus in touristischen Umgebungen zu verstehen, gibt es einige Modelle aus verschiedenen Disziplinen wie Kriminologie, Psychologie, Soziologie und Umweltgestaltung, etwa:
Routine-Aktivitäts-Theorie
Diese Theorie besagt, dass für das Auftreten von Vandalismus drei Faktoren zusammenkommen müssen:
- Ein motivierter Täter (z. B. gelangweilte Jugendliche oder frustrierte Touristen),
- Ein geeignetes Ziel (z. B. eine unbewachte Sehenswürdigkeit oder schlecht geschützte Infrastruktur),
- Ein Mangel an Aufsicht oder Abschreckung (z. B. keine Kameras oder Sicherheitskräfte).
Wenn diese drei Elemente zusammentreffen, steigt die Wahrscheinlichkeit von Vandalismus.
Broken-Windows-Theorie
Diese Theorie argumentiert, dass sichtbare Zeichen von Verwahrlosung (z. B. Graffiti, Müll oder zerbrochene Fenster) weiteres destruktives Verhalten fördern. Menschen empfinden eine solche Umgebung unkontrolliert, was die Hemmschwelle für Vandalismus senkt.
Wenn Menschen Zeichen von Verfall oder schlechtem Verhalten sehen (z. B. Müll, Vandalismus), nehmen sie wahr, dass solche Verhaltensweisen „akzeptabel“ sind. Dies senkt die Motivation, sich korrekt zu verhalten – selbst bei Personen mit hohen moralischen Normen. Das bedeutet, dass Touristen in einem Umfeld mit starkem Fehlverhalten weniger motiviert sind, sich selbst höflich zu verhalten.
Defensible-Space-Theorie
Newman (1972) entwickelte diese Theorie, die besagt, dass die physische Gestaltung einer Umgebung beeinflusst, wie sicher oder unkontrolliert sie wahrgenommen wird. Eine Umgebung mit guter Sichtbarkeit, klarer Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Raum sowie natürlichen Überwachungsmöglichkeiten reduziert kriminelles Verhalten.
Strain-Theorie und Equity-Control-Theorie
Diese soziologischen Theorien argumentieren beide in dieselbe Richtung: Menschen begehen kriminelle oder destruktive Handlungen, wenn sie keine legalen oder akzeptierten Möglichkeiten sehen, ihre Ziele zu erreichen, sie sich ungerecht behandelt fühlen oder ein Ungleichgewicht in sozialen oder ökonomischen Beziehungen wahrnehmen.
Ein Beispiel dafür wäre ein Tourist aus einer einkommensschwachen Region, der sich ausgeschlossen fühlt und der seinen Frust durch Vandalismus ausdrückt (z. B. Graffiti als Ausdruck sozialer Unzufriedenheit). Oder auch, wenn sich jemand durch hohe Eintrittspreise oder restriktive Regeln unfair behandelt fühlt und daraufhin mit Sachbeschädigung reagiert.
Soziale-Lerntheorie
Ich bin mir sicher, alle, die jemals eine soziale Ausbildung genossen haben, kennen diese Theorie von Bandura. Sie beschreibt das, was wir „Lernen am Modell“ nennen und besagt, dass Menschen durch Beobachtung lernen. Wenn Urlauber sehen, dass andere Vandalismus begehen und dafür keine Konsequenzen erfahren, übernehmen viele dieses Verhalten.
Typisierung von Fehlverhalten auf Reisen
Menschen benehmen sich im Urlaub auf vielen Ebenen daneben. Manches fällt etwas schwerer ins Gewicht, ist pietätlos oder gar kriminell, manches rücksichtslos und nervtötend. Sowohl der bekannte Tourismuspsychologe Philip L. Pearce als auch der Soziologe Peter Lugosi haben das abweichende Verhalten von Touristen zum besseren Verständnis in Kategorien eingeteilt.
4 Kategorien des „Bad behaviour“ auf Reisen nach Pearce
- Destruktiv: Graffitis an historischen Orten (bewusst herbeigeführter Schaden), mitnehmen von Dingen, zb. Naturprodukte, historischen Steinen oder Sachen aus dem Hotel; auch Vandalismus fällt darunter und antisoziale Aggression
- Unsicher: Reisende, die sich in (Lebens)Gefahr begeben; Unterschätzen von wilden Tieren, Selbstüberschätzung, Jagd nach Klicks, Alkohol. Unzureichender Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten (10% der jungen Reisenden schützen sich nicht).
- Aufdringlich: Nervig für andere; z.B. Vordrängeln, einsteigen vor aussteigen, laut gegenüber dem Servicepersonal, betrunken auf der Straße
- Umweltschädlich: Kann weit gefasst werden: alles soll immer und überall vorhanden sein speziell in großen Hotels (zb. franz. Touristen, die franz. Croissants in Belize wollen); Verbrauch von wertvollen lokalen Ressourcen bis hin zum Töten von Wildtieren
Kategorien devianter Verhaltensweisen von Touristen nach Peter Lugosi
- Finanzielle Devianz (Betrug und Täuschung)
- Falsche Reklamationen: Kunden fordern unberechtigt Rückerstattungen oder Entschädigungen (z. B. für angeblich schlechtes Essen oder eine falsche Rechnung).
- Preismanipulation: Gäste versuchen, Preise durch das Austauschen von Preisschildern oder gefälschte Gutscheine zu umgehen.
- Nichtbezahlung: Gäste verlassen ein Restaurant oder Hotel ohne zu zahlen („Dine and Dash“, Zechprellerei).
- Aggressives und unhöfliches Verhalten
- Verbal aggressive Kunden: Beschimpfen oder beleidigen das Personal, um Druck auszuüben oder Frust abzubauen.
- Physische Aggression: Kunden greifen Mitarbeiter oder andere Gäste an, sei es aus Frustration, Trunkenheit oder persönlichen Konflikten.
- Sachbeschädigung und Vandalismus
- Zerstörung von Hoteleinrichtungen: Kunden beschädigen Möbel, reißen Dekorationen herunter oder hinterlassen absichtlich ein Chaos in ihren Hotelzimmern.
- Mutwillige Verschmutzung: Einige Gäste hinterlassen absichtlich Unordnung oder Müll, um Ärger oder Macht auszudrücken.
- Sexuelle Belästigung und Grenzüberschreitungen
- Unangemessene Annäherungen: Besonders weibliche Servicekräfte sind häufig Ziel von unangemessenem Verhalten durch Kunden.
- Erwartungen an sexuelle Dienstleistungen: In einigen Kontexten, besonders im Nachtleben oder in Luxus-Hospitality-Bereichen, erwarten manche Gäste intime Dienstleistungen, die nicht angeboten werden.
- Regelverstöße und Normbrüche
- Nichtbeachtung von Dresscodes oder Hausregeln: Gäste ignorieren Regeln zu Kleidung oder Benehmen in bestimmten Bereichen (z. B. Poolregeln, Rauchverbote).
- Fehlverhalten durch Alkohol- oder Drogenkonsum: Übermäßiger Konsum kann zu lautem, aggressivem oder sogar kriminellem Verhalten führen.
Eigene Umfrage, welches Verhalten von anderen Reisenden besonders nervt
Im Zuge einer Frage auf Social Media, welches Verhalten anderer Reisender die Leute besonders ärgert, habe ich unfassbar viele Antworten gekriegt und beschlossen, auch diese zu strukturieren. Dabei habe ich die Verhaltensweisen inhaltlich nach Ähnlichkeit sortiert, woraus sich vier Kategorien ergeben haben: Heimatliebende, respektlose, gierige & geizige sowie die typischen Massentouristen. Als Beispiele habe ich Nennungen in den Kommentaren angeführt.
- Heimatliebende Touristen: Stellen das eigene Land, die eigene Kultur, Sprache und das Essen über alles und wenden es als Maßstab an
- etwas ist „zu spanisch / zu amerikanisch“; zwanghaftes Anfreunden mit Landsleuten; „Schnitzel-Esser“ (will Essen von Zuhause im Ausland); sich über alles beschweren, das nicht wie zuhause ist; glauben, dass alle Deutsch können sollten; sich den Einheimischen überlegen fühlen
- Respektlose Touristen: zeigen wenig Respekt vor Einheimischen, Servicepersonal, kulturellen Gepflogenheiten oder der Natur und stören andere Reisende
- unhöflich zu Personal; über Akzent spotten; Strand vermüllen; unpassende Kleidung; Umweltverschmutzer; undankbar; laut; anderen beim Fotografieren ins Motiv rennen; sich nicht an die örtlichen Gepflogenheiten halten; Vordrängeln; Besserwisser
- Gierige & geizige Touristen: Wollen alles, was geht, ausfassen und dabei nur wenig Gegenleistung bringen
- Verschwenderisch; Fressen – Saufen – Party; Männer, die nur Sex wollen; „Ich hab dafür bezahlt“ – Mentalität; Essen vom Buffet mitnehmen; generell zu viel vom Buffet nehmen; Badeplatz reservieren; Schnorrer; kein Trinkgeld geben
- Massentouristen: Reisende, die in Gruppen unterwegs sind bzw. nur ausgetretenen Pfaden folgen
- Reisegruppen; Clubs und große Hotelbunker; unentspannt und alles muss geplant sein; 1000 Fotos machen; Menschenmassen; Poser; Sehenswürdigkeiten abhaken; Vergleichen
Es wurde deutlich, dass andere Reisende oft Dinge unmöglich finden, die sich nicht klar als Devianz identifizieren lassen. Dennoch stellt es eine Verletzung der persönlichen Normen der anderen Touristen und vermutlich auch der Einheimischen dar. Jedenfalls ist es wesentlich wahrscheinlicher, mit so kleinen Normverstößen im Urlaub konfrontiert zu sein als etwa mit Vandalismus.
Gerade die letzte Kategorie ist in dieser Aufzählung spannend. Es handelt sich dabei nicht um abweichendes Verhalten im eigentlichen Sinne, dennoch fühlen sich so viele von Reisenden, die in Gruppen auftreten, gestört und genervt. Warum das so ist, wird etwas weiter unten hoffentlich klar.
Warum verhalten sich Menschen auf Reisen oft so daneben?
Nun habe ich bereits über die Definitionen von Fehlverhalten auf Reisen geschrieben und auch ein paar Typen dargelegt, zu denen bestimmt einige schon Kontakt hatten. Doch die zentrale Frage lautet ja: Warum zeigen so viele gerade im Urlaub ein schlechtes Benehmen und verhalten sich rücksichtlos? Und sind die Zuhause auch so?
Ich habe mich dafür durch zahlreiche Studien gelesen und werde euch jetzt berichten, welche Erklärungen die Psychologie dafür bietet. Dabei wird deutlich: Devianz von Touristen wird nicht zufällig, sondern durch verschiedene Faktoren begünstigt wird. Je nach Verhaltensweisen variieren die Einflüsse der verschiedenen Faktoren – treten aber viele gemeinsam auf, ist Fehlverhalten auf Reisen recht wahrscheinlich.
Die Erörterung ist sicher nicht vollständig, aber wie immer in meinen reisepsychologischen Artikeln gilt: irgendwann muss es reichen, sonst wird’s ein Buch 😉 .
Machtungleichgewicht & „Der Kunde ist König“-Mentalität
Viele Gäste sehen sich in einer überlegenen Position und fühlen sich berechtigt, Regeln zu brechen oder Forderungen zu stellen. Zu dieser wahrgenommenen überlegenen Position tragen etwa auch hohe finanzielle Ausgaben bei, denn diese bringen allgemein ein selbstsicheres, machtvolles Auftreten mit sich.
Auch die Reisemotivation ist entscheidend. Reist man unter anderem aus Prestigegründen, führt das zu einem sogenannten „demonstrativen Erfahrungskonsum“. Dabei zeigt man gerne (auch über Social Media), was man alles machen kann. Da Reisen in unserer Gesellschaft allgemein zu Anerkennung führt, löst das in Kombination mit dem kurzzeitigen Wohlstand (man leistet sich was) ein Gefühl der Erhabenheit aus – und damit verhält man sich eher deviant. Es gilt dabei häufig der Grundsatz: „Ich habe dafür bezahlt, daher kann ich mir auch was erlauben!“
Dieses Verhalten ist übrigens auch schon bei Jugendlichen bzw. jungen Erwachsen erkennbar. Sie geben oft erhebliche Geldbeträge aus – oft über ihre Verhältnisse hinaus – um Teil eines Eliteerlebnisses zu sein (z.B. in Partylocations wie Ibiza) und verhalten sich dann auch dementsprechend.
Außerdem haben Gastgeber und Gast meist unterschiedliche soziale Rollen, Ziele und einen anderen sozialen Status. Das allein führt schon zu einem Machtverhältnis. Reisende haben Freizeit, während Einheimische arbeiten – subjektiv befindet man sich also in der „besseren“ Position.
Ein weiterer Punkt ist, dass Unternehmen oft auf „Kundenzufriedenheit um jeden Preis“ setzen, wodurch Gäste weniger Konsequenzen für ihr Verhalten fürchten müssen.
Alkoholkonsum & enthemmende Substanzen
Besonders in Bars, Clubs und Resorts sind Gäste oft durch Alkohol oder Drogen enthemmt, was zu aggressivem oder unangemessenem Verhalten führen kann. Dieser Punkt ist in Kombination mit persönlichem Risikoverhalten, Alter und dem sozialen Umfeld, in dem man sich bewegt, relevant.
Mit dem Alkoholkonsum im Urlaub sind mehrere Risiken verbunden, etwa Gewalt, Unfälle, sexuell übertragbare Krankheiten oder kriminelle Übergriffe. Damit ist übrigens nicht nur das Risiko gemeint, das Verhalten selbst zu zeigen, sondern auch Opfer davon zu werden.
Gerade junge Menschen neigen auf Reisen zu übermäßigem Alkoholkonsum und trinken in einem Ausmaß, das ihre Gewohnheiten zu Hause weit übertrifft. Das alleine kann schon als Risikoverhalten gewertet werden. Damit einher gehen aber auch andere problematische Verhaltensweisen, etwa bewusst soziale Grenzen zu überschreiten.
Eine kommerzielle Konsum-Infrastruktur (Clubs, Bars, Clubbings etc.) fördern dieses Verhalten und spricht natürlich auch die Zielgruppe direkt an – nämlich jene, die eine temporäre Befreiung aus den Alltagsnormen suchen und bewusst riskantes Verhalten eingehen wollen.
Inwiefern Fehlverhalten auf Reisen aber wirklich von der Menge der konsumierten Substanzen abhängt, ist fraglich. In Studien dazu zeigt sich zwar, dass Partyreisende z.B. öfter in Kämpfe verwickelt sind, sich aber bei Kontrolle von Mittlerfaktoren kein Zusammenhang zwischen Party & Gewalt zeigt. Diese Faktoren sind etwa Alter, Geschlecht, Häufigkeit des Alkoholkonsums zuhause, Reisen mit dem Partner oder der Ruf eines Partyreiseziels. Das heißt, es hängt offensichtlich von diesen Merkmalen ab, ob sich jemand im Exzess gewalttätig verhält oder nicht.
Gruppendynamiken & soziale Ansteckung
Oft sind Gruppen besonders anfällig für Fehlverhalten auf Reisen (Busreisende oder Gruppen junger Männer z.B.). Dabei geht es natürlich um gewisse Gruppendynamiken sowie verschobene Normen.
In Gruppen verhalten sich Menschen oft riskanter und abweichender als allein. Man weiß, dass Reisen in großen, gleichgeschlechtlichen Gruppen bei jungen Erwachsenen etwa Gruppenzwang und exzessiven Konsum begünstigt.
So fällt es Gruppen von Party-Touristen gemeinsam leichter, Normen brechen. Entscheidungen auf Reisen in einer Gruppe junger Menschen sind meist von zwei Entscheidungsstrategien begleitet: Vermeidung sowie Aushandlung & Abstimmung. Es kann also einerseits sein, dass ein einflussreiches Gruppenmitglied eine Norm bricht und die anderen aus Konfliktvermeidungsgründen mitziehen oder aber, dass ein Normbruch eine ganz bewusste Entscheidung aller Gruppenmitglieder ist.
Wichtig zu wissen ist, dass Verhalten immer eine Reflexion des Zustands eines größeren Systems ist und Entscheidungen im Gruppenkontext oft wenig mit individuellen Ansichten zu tun haben. Geschlechterzusammensetzung, Gruppengröße oder Beziehungen innerhalb einer Gruppe haben einen Einfluss auf gezeigtes Verhalten. Die Gruppenidentität wird zudem meist über das Maß an Konsum, Mutproben oder riskanten Erlebnissen gefestigt.
Missverständnisse oder Unwissenheit
Manche Gäste verhalten sich deviant, weil sie kulturelle oder organisatorische Regeln nicht verstehen (z. B. unterschiedliche Trinkgeldgepflogenheiten oder Tischsitten). Dabei ist die eigentliche Nationalität ein Faktor von vielen. Erfahrungsgemäß kommt es oft zu kulturellen Schwierigkeiten, wenn Menschen aus verschiedenen Ländern zusammentreffen.
Eine Studie aus Thailand über das Verhalten auf Reisen von chinesischen Touristen zeigt zum Beispiel, dass die fehlende Betätigung der Klospülung und die Lautstärke, die sie an den Tag legen als extrem störend erlebt wird. Jetzt könnte man schlussfolgern „die Chinesen sind halt einfach so“, das wäre allerdings zu kurz gegriffen. Was bei einigen Reisenden vermutlich fehlt, ist kulturelle Sensitivität.
Kulturelle Sensibilität wird als subjektive Orientierung gegenüber „Andersartigkeit“ definiert. Sie beschreibt die Fähigkeit, Unterschiede wahrzunehmen, zu respektieren und darauf zu reagieren, anstatt sie zu bewerten oder zu ignorieren.
Milton Bennetts Modell der interkulturellen Sensibilität unterscheidet zwischen Ethnozentrismus, bei dem die eigene Kultur als Norm gilt, andere Kulturen werden entweder abgelehnt, ignoriert oder als minderwertig angesehen, und Ethnorelativismus, der auf Offenheit gegenüber anderen Kulturen mittels Anerkennung, Respekt und Reziprozität basiert.
Gerade der Tourismus in Gebieten mit einem hohen Anteil an indigener Bevölkerung ist oft von kolonialen Machtstrukturen geprägt. Sind dort dann auch noch viele Reisende unterwegs, die ein eher ethnozentrisches Weltbild haben, sucht man kulturelle Sensibilität vergebens und es kommt dabei zu Missverständnissen oder auch persönlichen Verletzungen. Oft ist es also ein Nichtverstehen – manchmal aber auch ein Nichtverstehenwollen.
Erlebnisorientierung & Risikofreude
Viele Menschen wollen auf Reisen etwas erleben und gehen dafür durchaus Risiken ein. Manchmal schaden sie damit niemanden (außer potenziell sich selbst), manchmal verhalten sie sich dabei extrem daneben. Für einige Touristen ist es Teil des Reiseerlebnisses, Grenzen auszutesten und Normen zu brechen („Party-Tourismus“ oder „Extremtourismus“). Wie oben schon erwähnt, kann dies z.B. am persönlichen Alkoholkonsum abgelesen werden, aber auch an der Bereitschaft, Regeln bewusst zu ignorieren (z.B. auf Tempel klettern für ein grandioses Foto).
Ein Faktor für Erlebnisorientierung ist bekanntermaßen die Eigenschaft Sensation-Seeking, also die notwendige Suche nach dem Kick, um zufrieden zu sein. Ein hohes Maß an Sensation-Seeking äußert sich natürlich auch in riskantem Verhalten – Bergabenteurer kennen das. In Bezug auf normgerechtes Verhalten sind aber immer auch andere persönliche Fähigkeiten mit entscheidend, etwa das Ausmaß an kognitiver und emotionaler Empathie.
Aber auch das Geschlecht hat einen Einfluss auf die Risikoeinschätzung auf Reisen: Frauen sind sensibler in ihrer Risikoeinschätzung als Männer. Die Risikobewertung hängt auch von Bildungsgrad, dem Wohnort und den zur Verfügung stehenden Informationen ab. Der Hang zur Ängstlichkeit hat ebenfalls Einfluss – wie auch die Reiseerfahrung.
Dissozialität
Wenn wir schon bei Persönlichkeitsvariablen sind: natürlich darf man auch den Hang zur Dissozialität nicht unerwähnt lassen. In ihrer stärksten Ausprägung redet man von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die man z.B. unter Kriminellen oft findet und die landläufig eher als Psychopathie bekannt ist (die ein Teil der Störung ist). Dabei zeigen die Personen keine emotionale Empathie, sind impulsiv, von sich eingenommen, leicht kränkbar und halten sich wenig an soziale Normen. Dadurch ist ihr Aggressionslevel erhöht, sie lügen öfter und es ist ihnen egal, ob andere unter ihren Respektlosigkeiten leiden.
Nun muss eine Person aber keine diagnosewürdige dissoziale Persönlichkeitsstörung haben, um in vielen Situationen des Lebens dissozial zu handeln. Wie viele Merkmale der Persönlichkeit kann auch Dissozialität in einem „normalen“ Rahmen mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Personen, die zwar nicht vollkommen unfähig sind, mit anderen mitzufühlen, aber sich z.B. bei Fremden damit schwertun, sich schnell aufregen und sich wenig um soziale Konventionen kümmern, erfüllen die Kriterien für eine Störung vielleicht nicht, ecken aber dennoch oft an. Und das selbstverständlich auch auf Reisen!
Subjektive Wahrnehmung von Illegalität
Viele Touristen bewerten ihr Fehlverhalten auf Reisen nicht als unmoralisch oder schädlich, insbesondere wenn keine unmittelbaren Konsequenzen drohen.
„Sachen mitgehen lassen“ (egal ob aus Hotels oder Restaurants) etwa betrachten viele Reisende immer noch als harmlos, genauso wie das Kaufen von gefälschter Markenware. Manchmal wird eine illegale Handlung sogar als löblich bewertet, etwa wenn es darum geht, Tiere einfach mal so – ohne mit Tierschutzorganisationen vor Ort – zu retten und außer Landes zu schaffen.
Es gibt eine große Grauzone an Praktiken, die gesellschaftlich toleriert oder ignoriert werden, obwohl sie Schaden anrichten. Spannend und verstörend ist zum Beispiel die Tatsache, dass einem das Stehlen größerer Gegenstände (z.B. ein Stuhl oder ein Bild aus einem Hotel) oft den Ruhm innerhalb einer Reisegruppe einbringt. Immerhin würde niemand einem Dieb Anerkennung aussprechen, der in Häuser einbricht und dort Möbelstücke stiehl.
Zum Thema „Hotelsachen mitnehmen“ gibt es übrigens die interessante tiefenpsychologische Theorie, dass man sich die Fantasie mit heimnimmt, in einem schönen Hotel zu wohnen. Da sich das sicher viele Leute wünschen, ist vielleicht die Sache mit dem Ruhm auch irgendwie verständlich.
Alter
Junge Leute haben einen größeren Hang zu Partyreisen, aber nicht alle konsumieren Drogen oder haben exzessiv Sex – denn das hängt auch von Persönlichkeit ab. Tendenziell verhalten sich junge Menschen auf Reisen liberaler und hedonistischer. Das hedonistische Verhalten wird unter anderem auf das Fehlen von soziokulturellen Normen zurückgeführt – also Eltern, die einen gewissen Verhaltensrahmen vorgeben.
Eine Studie fand unter jungen Leuten vier Reisetypen: Sonnenanbeter, Sightseers, Partymenschen und einen Mischtyp. Es wurde deutlich, dass den Partymenschen eher Faktoren wie Preis und andere junge Leute wichtig sind und Faktoren wie Schönheit der Natur vor Ort oder kulturelles Erbe unwichtig. Dinge, die einem wenig bedeuten, werden auch weniger geschätzt und geschützt. Man könnte also von einem grundlegenden mangelnden Gespür für die Unversehrtheit der Natur und kulturellen Stätten ausgehen. Die gute Nachricht: Selbst unter den jungen Leuten ist der Typ „Partymensch“ nicht sehr häufig (14% der Stichprobe), man darf also nicht automatisch davon ausgehen, dass junge Leute immer Fehlverhalten auf Reisen zeigen.
Aber es zeigte sich, dass sich junge Reisende stark von den Mitreisenden in ihren Urlaubsaktivitäten beeinflussen lassen. Wenn die Freunde also beschließen, nachts in den bereits geschlossenen Pool zu springen und dort laut zu singen, macht man das als junger Mensch eher mit als mit über 40.
Antizipierte Emotionen
Antizipierte Emotionen sind die Gefühle, die eine Person im Voraus erwartet zu empfinden, je nachdem, wie sie sich in einer zukünftigen Situation verhält. Es handelt sich dabei um emotionale Reaktionen, die auf Vorhersagen über die Konsequenzen einer Handlung beruhen. Sie treten vor einer Handlung auf, basierend auf der Vorstellung, wie man sich fühlen wird, wenn man eine bestimmte Entscheidung trifft oder unterlässt.
Es zeigt sich, dass sowohl positive als auch negative antizipierte Emotionen das höfliche Verhalten von Touristen beeinflussen, wobei positive eine stärkere Rolle spielen als negative. Positive antizipierte Emotionen entstehen, wenn man erwartet, sich gut zu fühlen, weil man eine Handlung ausgeführt hat. Negativ antizipierte Emotionen im Gegenzug erwartet man, sich schlecht zu fühlen, weil man eine Handlung nicht ausgeführt hat.
Da das Konzept der antizipierten Emotionen etwas abstrakt wirkt, möchte ich ein Beispiel bringen. Angenommen, man reist in ein fremdes Land mit durchaus anderen Sitten. Dann wäre eine positive antizipierte Emotion: „Ich werde mich stolz fühlen, wenn ich die lokalen Traditionen respektiere.“, und eine negative: „Ich werde mich schämen, wenn ich mich unhöflich verhalte.“
Antizipierte Emotionen sind ein starker Motivator für unser Verhalten. Menschen wollen positive Emotionen erleben und verhalten sich pro-sozial oder umweltfreundlich, um Stolz, Freude oder Zufriedenheit zu spüren bzw. negative Emotionen vermeiden und handeln verantwortungsbewusst, um Schuld, Scham oder Reue zu vermeiden. Es sind also gefühlte Erwartungen darüber, wie man sich nach einer Handlung fühlen wird. Sie motivieren dazu, sich moralisch und sozial korrekt zu verhalten.
Wenn Touristen allerdings die Häufigkeit von Fehlverhalten als hoch wahrnehmen (z. B. sie sehen viel Müll oder erleben unhöfliches Verhalten anderer), dann schwächt dies die Verbindung zwischen ihren persönlichen Normen und negativen antizipierten Emotionen mit ihrem tatsächlichen höflichen Verhalten. Der Eindruck, dass „alle anderen“ sich schlecht benehmen, schwächt das Pflichtgefühl und so wirken ihre inneren moralischen Verpflichtungen und die Angst vor Schuldgefühlen weniger stark auf ihr Verhalten. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich höflich und verantwortungsvoll verhalten.
Viele Gründe für Fehlverhalten auf Reisen
Du siehst also, es gibt nicht DIE eine Antwort auf die Frage, warum sich Menschen im Urlaub daneben benehmen. Es ist wie immer, wenn es menschelt, ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren und hängt von eigenen Werten, demografischen Variablen, den Mitmenschen und der eigenen Persönlichkeit ab.
Doch egal warum sich Fehlverhalten auf Reisen zeigt, meist geht damit ein Nicht-nachdenken über die Folgen einher. Dieses gedankenlose Verhalten ist oft begleitet von einem veränderten Habitus im Vergleich zu daheim und dem Untergraben von Argumenten, wenn man sich ertappt fühlt oder darauf hingewiesen wird.
Und oft ist es einfach die Situation „Urlaub“ an sich, die dazu führt, dass man seine guten Manieren vergisst. Man hat etwa herausgefunden, dass eine große Lücke klafft zwischen der Einstellung und Haltung zu Umweltschutz und dem tatsächlichen Verhalten in Situationen, in denen Vergnügen und Hedonismus im Vordergrund stehen, wie etwa im Urlaub. Essensverschwendung fußt also selten auf einer generell verschwenderischen Haltung, sondern ist oft auch der Situation geschuldet.
Außerdem wurden ja oftmals bewusst Orte geschaffen, in denen gewisse Exzesse nicht als abweichendes Verhalten, sondern Resultat einer konsumorientieren Gesellschaft zu sehen sind, wo soziale Zwänge aufgehoben werden. Setzt man in der kommerziellen Infrastruktur dezidiert auf Konsum und Erlebnis, verstärkt man riskantes Verhalten damit aktiv.
Was kann man gegen Respektlosigkeiten auf Reisen tun?
Die Frage, die sich jetzt natürlich stellt, ist: Was können Destinationen, Tourismusbetriebe oder jeder einzelne von uns tun, um Fehlverhalten auf Reisen vorzubeugen bzw. ihm entsprechend zu begegnen? Wie so oft im Leben gibt es auch hier keine einzig wahre Antwort auf diese Frage, sondern mehrere Ansätze, die jeweils einen Teil zur Lösung beitragen können.
Präventionsstrategien
Jede schlechte Tat, die verhindert werden kann, ist ein Gewinn für die Gesellschaft. Daher sollte das primäre Ziel von Maßnahmen gegen Respektlosigkeiten im Urlaub sein, diese erst gar nicht möglich zu machen. In der Literatur finden sich dafür einige erprobte Ansätze.
- Technische Maßnahmen: Überwachungskameras, widerstandsfähige Materialien, bessere Beleuchtung und Umweltdesign, klare Markierung von privaten und öffentlichen Bereichen
- Kommunikation: Sichtbare Vermittlung von Verhaltensregeln (z. B. Hausordnung, Dresscodes, Rauchverbote).
- Soziale Maßnahmen: Bildungskampagnen, Gemeinschaftsprojekte, stärkere soziale Kontrolle, Etikett Trainings (China ist hierbei Vorreiter, z.B. mit Guidebook „Guide to civilized tourism“ von der Nationalen Tourismusagentur, auch im TV Anweisungen zur Einhaltung der Etikette in anderen Ländern), positive Vorbilder, Förderung von sozialen Normen durch Belohnung für korrektes Verhalten
- Emotionsarbeit: Destinationen sollten Maßnahmen ergreifen, um positive Emotionen zu fördern, etwa durch gezielte Informationskampagnen
- Sauberkeit und Unversehrtheit: Die Schaffung eines sauberen, zivilisierten Umfelds kann die Touristenhöflichkeit verstärken. Schnelle Reparaturen und Reinigung können verhindern, dass Vandalismus eskaliert.
- Aufklärung: Touristen müssen besser über die Auswirkungen ihres Verhaltens informiert werden.
- Alternative Angebote: Museen oder Naturparks könnten offizielle Souvenirs wie lizenzierte Steine oder Sand anbieten, um illegales Sammeln zu verhindern; Schaffung von positiven Ausdrucksmöglichkeiten für Besucher, wie legale Graffiti-Wände oder interaktive Kunstprojekte.
- Strengere Kontrollen und Strafen: Sicherheitsmaßnahmen oder strengere Richtlinien einführen, um Diebstähle zu minimieren; strengere Gesetze, verstärkte Polizeipräsenz bzw. sichtbare Sicherheitskräfte und härtere Strafen.
- Gästesteuerung: Einschränkung des Zugangs für problematische Kunden (z. B. keine Gruppenbuchungen für bekannte Party-Touristen).
- Konzepte zur Förderung kultureller Sensibilität: Respektierung der Eigenständigkeit indigener Kulturen und ihrer Rechte, Wahrung kultureller Integrität, Vermeidung von Aneignung oder Stereotypisierung, Gegenseitiger Austausch zwischen Gastgebern und Gästen, der auf Gleichberechtigung und gegenseitigem Nutzen basiert, Förderung der Kooperationen zwischen indigenen Gemeinschaften und Tourismusunternehmen, koloniale Denkmuster durchbrechen.
Präventionsmaßnahmen sollten daher entweder die Überwachung verstärken oder die Gelegenheit zum Vandalismus reduzieren. Eine gepflegte Umgebung signalisiert soziale Kontrolle und reduziert die Wahrscheinlichkeit von weiterem Vandalismus.
Effektiver als das Setzen auf eine Einstellungsänderung sind Interventionen, die beim Verhalten ansetzen. Sie sind günstiger und haben oft auch noch den Nebeneffekt, dass sie die generelle Zufriedenheit von Touristen erhöhen. Was etwa gut wirkt: Wenn (von Destinationen) gewünschte Optionen aktiv zurückgewiesen werden müssten, denn Menschen wählen lieber als zurückzuweisen (zb. Umweltfreundliches Hotel).
Soziale Interaktion ist ein wichtiger Faktor beim Reisen, speziell bei jüngeren Menschen. Dabei haben nicht nur Mitreisende (Freunde, Familie) Einfluss auf das Verhalten im Urlaub, sondern auch Einheimische bzw. das Personal vor Ort. Das ist auch der Punkt, an dem wir als Einzelpersonen Einfluss haben: auch wir können Dinge ansprechen und vorleben.
Umgang mit Fehlverhalten auf Reisen
Kommt es laufend zu Problemen mit dem Verhalten von Touristen, wäre zunächst eine umfassende Analyse und Implementierung von Präventionsmaßnahmen sinnvoll. Gleichzeitig, aber auch wenn die Prävention nicht ausreichend war, gibt es verschiedene Maßnahmen vor, um mit deviantem Kundenverhalten umzugehen:
- Konsequent durchgesetzte Sanktionen für Fehlverhalten (z. B. Hausverbote oder rechtliche Schritte).
- Mitarbeiterschulungen in Deeskalationstechniken und Umgang mit schwierigen Gästen.
- Einsatz von Videoüberwachung, KI-gestützter Verhaltensanalyse oder digitalen Beschwerdesystemen zur schnellen Identifikation von Problemen.
- Implementierung von „No-Tolerance“-Politiken gegenüber aggressivem Verhalten.
Normaktivierungsmodell (NAM) – Ein Ansatz
Verhaltensänderungen gehen meist lang andauernde Prozesse voraus. Man kann diese mit gewissen Maßnahmen unterstützen oder hemmen. Ein Modell, das gewünschte Verhaltensänderungen gut beschreibt ist das Normaktivierungsmodell nach Schwartz(1977). Es ist ein sozialpsychologisches Modell zur Erklärung von altruistischem, pro-sozialem und pro-environmentalem Verhalten. Es beschreibt, wie Menschen moralische Normen aktivieren, die sie dazu motivieren, sich verantwortungsbewusst zu verhalten.
Das Modell besteht aus drei zentralen Variablen, die beeinflussen, ob eine Person moralisch handelt:
- Bewusstsein der Konsequenzen: Eine Person erkennt, dass ihr Verhalten Auswirkungen auf andere oder die Umwelt hat
- Zuschreibung von Verantwortung: Die Person fühlt sich persönlich verantwortlich für die Konsequenzen ihres Handelns. Ein moralischer Druck entsteht.
- Persönliche Normen: Eine Person entwickelt eine innere moralische Verpflichtung, sich verantwortungsvoll zu verhalten.
- Verhalten: Diese Normen beeinflussen ihr Verhalten – sie handelt altruistisch oder pro-environmental.
Punkt 1 und 2 erreicht man hauptsächlich durch Information, Modelllernen, Reflexion und Kommunikation, aber auch durch Konsequenzen wie soziale Ächtung, Verwarnungen oder Strafen. Aus dem Verhalten heraus und dem Verständnis dafür entwickelt sich dann im besten Fall eine persönliche Norm, die wiederum Einfluss auf das zukünftige Verhalten hat.
Man muss jedoch dazusagen, dass es viele Faktoren gibt, die in diesen Prozess einwirken können, etwa durch Situationsvariablen oder soziale Gegebenheiten. Kaum eine Normveränderung läuft linear nach Lehrbuch ab. Dennoch ist es wichtig zu erwähnen, dass die Lage nicht hoffnungslos ist, wenn sich eine Destination mit überbordendem Fehlverhalten ihrer Urlauber konfrontiert sieht.
Fehlverhalten auf Reisen – ein Fazit
Ich könnte nun noch hunderte Beispiele aufzählen, was Menschen an anderen Menschen auf Reisen stört oder welche Modelle dieses Verhalten erklären oder verhindern können. Ich denke aber, dass man mit dem, was ich bereits gesagt habe, einen guten Überblick über das Thema bekommen hat. Fehlverhalten auf Reisen lässt sich also ganz gut analysieren und verstehen und damit auch zu einem gewissen Grad verhindern – ob es nun die reservierten Liegen am Morgen am Hotelpool oder ein durch im Suff eingeschlagenes Schaufenster ist.
Klar ist, dass wir als Einzelpersonen als gutes Vorbild zwar einen kleinen Teil dazu beitragen können, der Großteil der Präventionsarbeit aber auf Seiten der Tourismusbetriebe, der Destinationen und der Staaten passieren muss. Diese müssen ein klares Regelwerk und Bedingungen schaffen, in denen sich Menschen gerne prosozial verhalten. Trotzdem – und damit bin ich wieder beim Ursprung dieses Artikels: meiner Arbeit mit Straftätern – wird es immer Menschen geben, die einfach einen Hang zu deviantem Verhalten mitbringen und diesen auch ausleben. Hier helfen nur eine gewisse Strenge und unmittelbare Konsequenzen, damit es alle anderen Touristinnen und Touristen auch wieder angenehm haben. Denn eines ist klar: Sie mögen gern gesehene Kunden sein, aber einen Freifahrtschein für Respektlosigkeiten hat niemand.
Du willst noch mehr lesen zum Thema „Fehlverhalten auf Reisen“? Dann hab ich hier ein paar interessante Links für dich:
John Lee vergibt jährlich in der Zeitschrift „The Globe and Mail“ einen sogenannten „Schande-Award“ – The Travel Hall of Infamy Awards. Besonders rücksichtlose Exemplare, die sich auf Reisen sehr daneben benommen haben, erhalten diese „Auszeichnung“.
Auch der Standard listet schön einige besonders respektlose Taten von Touristen auf und erklärt das Prinzip der „Disneyfizierung“.
Der Reiseveranstalter TUI hat einen Folder zum Thema „Respektvoll Reisen“ rausgebracht, in dem die wichtigsten Höflichkeitstipps für den nächsten Urlaub zusammengefasst werden.
Weitere Artikel von mir zum Thema Reisepsychologie:
Literatur:
Pearce, P. L. (2005). Tourist behaviour: Themes and conceptual schemes (Vol. 27). Channel View Publications.
Lertporn, Parasakul (2020): Are our Chinese Guests Annoying? : An Analysis of Thai Hosts’ Perceptions of the Chinese Tourists, Suranaree J. Soc. Sci. Vol. 14 No. 1; January-June 2020 (1-16)
Reisinger, Y. (2009). International Tourism: Cultures and Behavior. Burlington MA: Butterworth-Heinemann.
Marcevova, Kristyna (2001): Group influences on individual holiday decision-making and behaviour: a study of group dynamics in tourist parties of young people. Disseration.
Cui, Fangnan, et al. (2016): An overview of tourism risk perception. Natural Hazards 82: 643-658.
Zhang, Xiaochi (2013): International tour andintercultural communication – a study of chinese tourists’ bad behaviors, International journal for innovation education and research, vol.1-04.
Souza-Neto, V., Marques, O., Mayer, V. F., & Lohmann, G. (2023). Lowering the harm of tourist activities: a systematic literature review on nudges. Journal of Sustainable Tourism. 31(9), 2173-2194.
Lugosi, P. (2019) Deviance, deviant behaviour and hospitality management: Sources, forms and drivers. Tourism Management, 74, 81‐98,
Qiu, H., Wang, X., Wei, W., Morrison, A. M., & Wu, M. Y. (2022). Breaking bad: how anticipated emotions and perceived severity shape tourist civility? Journal of Sustainable Tourism, 31(10), 2291–2311.
Harris, L. C., & Magrizos, S. (2023). “Souvenir Shopping is for Schmucks!”: Exploring Tourists’ Deviant Behavior Through the Items They Bring Back. Journal of Travel Research, 62(2), 345-361.
Bhati, A., & Pearce, P. (2016). Vandalism and tourism settings: An integrative review. Tourism Management, 57, 91-105.
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Briggs, D., & Tutenges, S. (2014). Risk and transgression on holiday: ‘New experiences’ and the pied piper of excessive consumption. International Journal of Tourism Anthropology, 3(3), 275–298.
Viken, A., Höckert, E., & Grimwood, B. S. R. (2021). Cultural sensitivity: Engaging difference in tourism. Annals of Tourism Research, 89, 103223.
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