Heimkommen vom Ausland – Probleme und Lösungsansätze
Wenn es ums Reisen geht, haben wir meist die Reiseplanung oder das Erleben vor Ort im Blick. Wer denkt schon gerne ans wieder Heimkommen? Doch genau das ist oft der komplexeste Baustein beim Reisen: sich wieder zuhause zurechtzufinden und mit den Gefühlen der Heimkehr umgehen. Ich habe in diesem Artikel versucht, einen theoretischen Überblick über das Heimkommen vom Ausland zu geben, habe subjektive Erfahrungen von Menschen zusammengetragen und will Möglichkeiten aufzeigen, das Heimkommen konstruktiv zu gestalten.
Als ich angefangen habe, mich fachlich mit dem Thema Heimkommen von einer Reise auseinanderzusetzen, habe ich nicht erwartet, mich durch so einer Flut an Informationen wühlen zu müssen! Allerdings waren es auch nur selten die Informationen, die ich ursprünglich gesucht habe. Warum? Es gibt in der Tat hunderte Studien und einige Bücher über das Heimkommen nach langem Auslandsaufenthalt – das betrifft ja Millionen von Menschen, die Auslandssemester absolvieren oder als Expats eine Zeit lang woanders leben und arbeiten. Sehr wenig findet man allerdings übers Heimkommen nach einer Urlaubsreise.
Es gibt deswegen so viele Studien zum Thema „nach Auslandssemester heimkommen“, weil Studierende an den Unis einfach leicht verfügbare Proband:innen sind. Sucht man Studien über Urlaubsreisende und deren nach Hause kommen, so findet man fast ausschließlich welche mit medizinischen Belangen, also was die Reisenden an Krankheiten mit Heim gebracht haben.
Nun stand ich vor der Wahl: Themenschwerpunkt ändern, Herumfantasieren oder gleich alles bleiben lassen? Ich habe mich für keine der drei Möglichkeiten entschieden, sondern eine vierte in Erwägung gezogen: Ich lege alles, was man aus Studien übers Heimkommen vom Ausland nach längerem Aufenthalt weiß, dar und kombiniere dies mit den Erfahrungsberichten von Urlaubsreisenden. Am Ende wissen wir hoffentlich mehr über beide Facetten und was beide Gruppen gemeinsam haben.
Heimkommen: Eine Wissenschaft für sich
Der Prozess des Heimkommens nach einem längeren Auslandsaufenthalt ist gut untersucht. Bereits in den 1950er Jahren forschte man besonders in den USA viel zu diesem Thema. Das verwundert nicht, wenn man an in Europa stationierte Soldaten und die immer größer werde Zahl an international arbeitenden Experten denkt. Gegen Ende der 80er und zu Beginn der 90er folgte dann erneut eine große Forschungswelle, was daran lag, dass Auslandsprogramme für Studierende immer beliebter wurden. Und man hätte wohl nicht geforscht, wenn man bei all dem eines nicht bemerkt hätte: Heimkommen kann Probleme bereiten.
Heimkommen als Hürde
So berichten zum Beispiel viele Studierende, dass sie das Heimkommen schwieriger finden als das Zurechtfinden im Austauschland. Viele kommen heim und merken eine große Veränderung an sich selbst, während sich zuhause scheinbar nichts verändert hat (1). Bei heimkehrenden Austauschschülern fand man deutlich erhöhte Fallzahlen von Depression und Angstzuständen. Sie leiden aber nicht, weil das Leben woanders so mühsam war, sondern berichteten meist davon, dass sie es bereuen, wieder nach Hause gekommen zu sein (2). Auch 64% dänische und 80% japanische Expats gaben in einer Studie an, dass das Heimkommen für sie belastender war als das Ankommen in einem fremden Land (8).
Anhaltende Symptome
Das Heimkommen von einer längeren Reise, einem beruflichen Auslandsaufenthalt oder einem Auslandsemester birgt in der Tat einige Gefahren für die Psyche. Sehr häufig werden in den Wochen nach der Rückkehr Identitätskonflikte, Depressionen, Angstzustände und soziale Schwierigkeiten berichtet. Symptome wie Desorientierung, Stress, Ärger, Aggression, Hilflosigkeit und Entfremdung treten dabei häufig auf (2). Man kann auch sagen: Menschen, die von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückkommen, zeigen oft Kummer in derselben Stärke, wie es Trauernde tun (6). Beim Heimkommen nach langem Auslandsaufenthalt reagiert man auf die Umwelt mehr wie ein Fremder und fühlt sich auch oft so – wie ein Alien auf einem anderen Planeten (8).
Wie oben schon kurz erwähnt gibt es relativ wenige Untersuchungen, die den Fokus auf heimkommende Tourist:innen legen. Eine Studie hat junge studentische Reisende nach dem Heimkommen befragt, die aber auch mind. 3 Monate im Ausland verbracht haben. Auch bereits nach dieser Zeit herrschen ein Monat nach Rückkehr negative Gefühle vor, wie depressive Stimmung, Einsamkeit, Frustration und Langeweile (9).
Heimkommen kann also in der Tat manchmal ein Gamechanger sein. Während man unterwegs oft noch auf das große Aha-Erlebnis wartet, was die Persönlichkeitsentwicklung angeht, so spürt man diese dann, sobald man daheim ist. Viele kommen mit einem veränderten Blick aufs eigene Land zurück. Sie haben durch den Aufenthalt im Ausland sehr viel über das Eigene gelernt – entweder durch die andere Perspektive, aber auch durch die Konfrontation mit Fakten, mit denen man sich zuhause nie beschäftigt hat (1). So kommt es, dass durch die eigene Veränderung die Rückkehr oft Probleme, die mehrere Wochen bis Monate anhalten, bereitet.
Reaktionen der Familie vs. Peer Group
Während Eltern der Veränderung ihrer Kinder während eines Auslandssemesters häufig positiv gegenüberstehen, weil sie ja Interesse an deren Förderung und Fortkommen haben, empfinden Freunde diese oft als negativ. Besonders daheimgebliebene Partner empfinden die persönliche Veränderung der Heimgekehrten eher als unangenehm. Dies führt bei den Rückkehrern natürlich zu zusätzlichen Spannungen und Fremdheitsgefühlen (1). Nur 7% heimgekehrter Teenager von einem Schüleraustauschprogramm gaben an, dass sie sich nach der Rückkehr in ihrer Peergroup zuhause gefühlt haben (8). Ein Grund, warum gerade Freundschafts- und Partnerbeziehungen so unter der Heimkehr leiden, ist, dass Heimkehrer über ein erhöhtes Autonomiebedürfnis verfügen als zuvor. Und damit beginnt oft eine Negativspirale, denn wer nur schlecht an die vorhandenen Beziehungen zuhause anknüpfen kann, verspürt einen heftigeren umgekehrten Kulturschock (mehr dazu weiter unten) (2).
Man hat aber in der Tat nicht nur Schwierigkeiten beim Heimkommen gefunden: Im Falle von Touristen, die sich im Urlaubsland nicht willkommen fühlten und von Stigmatisierung berichteten, hat das Heimkommen eine befreiende Wirkung. Sie fühlen sich wieder sicher und idealisieren ihr Land (10).
Wiederankommen – Zwei Konzepte
Doch warum bereitet die Rückkehr oft solche Probleme? Welche Prozesse laufen in uns ab, wenn wir Heimkommen? Ich habe zwei Erklärungsmodelle gefunden und möchte die kurz vorstellen.
Piagets Theorie der Assimilation und Akkomodation
Viele kennen Jean Piaget als Begründer der kindlichen Entwicklungsstufen. Seine Modelle zur Assimilation und Akkomodation können aber nicht nur auf das Lernen bei Kleinkindern angewandt werden, sondern auch auf die eigene Entwicklung nach dem Heimkommen.
- Assimilation (von lateinischen Adjektiv similis – „ähnlich“) ist die Interpretation neuer Erfahrungen mit Hilfe von Begriffen der bereits existierenden Schemata.
- Akkomodation (vom lateinischen Verbum accomodare – „anpassen“) ist in der Entwicklungspsychologie die Modifizierung eines bisher vorhandenen kognitiven Schemas, um neue Informationen integrieren zu können (11).
Piaget geht davon aus, dass ein neuer Ort ein gewisses Ungleichgewicht in einem hervorruft, weil so viele neue Eindrücke auf einen einprasseln. Diese passen oft nicht mit dem vorhandenen Erfahrungsschatz zusammen. Daher muss sich der Reisende adaptieren. Die Adaption geschieht in zwei Stufen. Zuerst findet Interpretation (Assimilation) statt, indem neue Eindrücke an bereits vorhandene Schemata geknüpft werden. Passen zu viele Infos nicht mehr in diese rein, kommt es zur Akkomodation: die Schemata – die Kategorien, in denen man denkt – werden verändert.
Bei der Rückkehr versucht man nun, wieder an die alte Umgebung hineinzufinden, allerdings haben sich durch den Auslandsaufenthalt die Schemata verändert und passen nun nicht mehr. Kurz gesagt: Man erwartet nichts Neues, findet aber Neues vor. Die zunächst versuchte Assimilation hilft daher nicht gänzlich, das Ungleichgewicht zu beseitigen und führt zum umgekehrten Kulturschock. Das heißt, es muss erst wieder eine Adaption (Akkomodation) geschehen, ehe sich der Heimkehrende zuhause im Gleichgewicht fühlt. (5)
3-Ebenen des Heimkommens nach Skudlarek
Szkudlarek hat in einer Metaarbeit Studien, die sich mit dem Heimkommen beschäftigen, genau angeschaut und dabei einige Modelle ableiten können. So etwa, dass der Prozess nach Nach-Hause-Kommens immer auf drei Ebenen stattfindet: Affektiv, Behavioral und Kognitiv.
Unter Affektiv versteht man alles Emotionale. Das wohl am häufigste beschriebene Gefühl ist der umgekehrte Kulturschock, aber auch wie oben schon erwähnt Angst, Ärger, Einsamkeit etc. Oftmals trauern die Zurückgekehrten um ihr Leben im Ausland und ihre Rollen, die sie abseits von zuhause innehatten. Bis zu 6 Monate kann dieser Distress anhalten und sogar klinische Ausmaße annehmen. Wie genau es zum umgekehrten Kulturschock kommt, erkläre ich weiter unten ausführlicher.
Studien, die sich mit den kognitiven Seiten einer Rückkehr beschäftigten, fanden raus, dass Probleme dabei zumeist an verschobenen Annahmen liegen. Das heißt, sowohl Rückkehrende als auch das Umfeld zuhause hat oft andere Vorstellungen vom Prozess, der einer Heimkehr folgt. Viele Veränderungen und Probleme werden schlicht nicht erwartet. Alleine schon das kognitive Antizipieren verschiedener Möglichkeiten könnte Schwierigkeiten vorbeugen.
Die behaviorale Ebene beschreibt das Verhalten der Heimkehrenden. Dabei ist zu beobachten, dass es vorkommt, dass man im neuen Land Verhaltensweisen übernimmt, während solche, die man zuhause erlernt hat, in den Hintergrund gedrängt werden. Bei der Rückkehr kann dies dann zu Missverständnissen und Problemen führen. Personen, die die alten Verhaltensweisen schneller wieder abrufen können, erleben weniger Schwierigkeiten bei der Re-Adaption (4).
Reverse Culture Shock | Umgekehrter Kulturschock
Eine große Hürde bei Aufenthalten im Ausland ist, mit den kulturellen Differenzen klarzukommen. Als noch schwieriger wird es allerdings erlebt, sich nach Gewöhnung an diese andere Kultur wieder in der eigenen zurechtzufinden. Dieses Phänomen nennt sich umgekehrter Kulturschock, engl.: Reverse Culture Shock.
Der umgekehrte Kulturschock fand erstmals in den 1930ern Einzug in die wissenschaftliche Literatur, 1944 wurde er dann bei heimkommenden Veteranen genauer beschrieben. Besonders die zwei Jahrzehnte nach dem ersten Weltkrieg erlangte die thematische Auseinandersetzung mit diesem Thema einen Höhepunkt (2). Und egal um welche psychologische Studie zum Thema „Heimkommen“ es geht: keine kommt ohne eine Erwähnung des Reverse Culture Shock aus.
Während Kulturschock laut Definition ein Zustand ist, der Angst hervorruft, weil unsere gewohnten Muster sozialer Interaktion nicht oder nur mehr eingeschränkt gültig sind, meint umgekehrter Kulturschock, dass wir Schwierigkeiten beim Wiederanpassen und -einrichten in unseren ursprünglichen Kulturkreis haben. Es wird als ein schwieriger Prozess der Rekulturation in die eigene Kultur nach einem längeren Auslandsaufenthalt verstanden (2). Dabei ist allerdings keine genaue Zeitangabe definiert. Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen: Selbst nach meinen zwei Monaten in Italien habe ich einen Reverse Culture Shock erlebt, der sich gewaschen hat. Ich denke daher, es ist weniger daran festzumachen, wie lange jemand wirklich im Ausland war, sondern daran, wie intensiv der- oder diejenige dort in die lokale Kultur eingetaucht ist.
Diese Annahme stützt auch eine Studie: Der umgekehrte Kulturschock erklärt ein Viertel der Varianz des psychischen Wohlbefindens bei Rückkehrern. Das heißt, die Stärke des Schocks sagt zu gut 25% vorher, wie gut oder schlecht sich Heimkommende fühlen. Je stärker er ist, desto stärker sind depressive und angstbesetzte Emotionen. Die Studie hat auch gezeigt, dass der wahrgenommene Reverse Culture Shock nichts mit der Länge des Aufenthalts im Ausland oder mit der Zeit seit der Rückkehr zu tun hat (7).
Sowohl die Akkulturation als auch die Re-Akkulturation sind von Verlusten vertrauter sozialer Marker und Hinweise gekennzeichnet. Gerade Heimkommende erwarten nicht, dass es durch ihre veränderte Wahrnehmung, durch das Sehen von Dingen aus anderen Blickwinkeln, zu Anpassungsschwierigkeiten kommt. Die Erwartung passt also nicht mit der Wahrnehmung zusammen. Dadurch kommt es auch zu Schwierigkeiten im sozialen Unterstützungssystem, weil auch das Umfeld andere Erwartungen an den Rückkehrenden hat (5). Der Schock geht damit auch zu einem Teil auf kognitive Dissonanzen zurück.
Der umgekehrte Kulturschock wird dabei als W-förmige Kurve beschrieben: bei Antritt einer Reise herrscht zunächst Euphorie vor, dann Enttäuschung, dann Erholung davon zuhause, wobei anschließend durch den vorherigen Kulturschock oft das Verarbeiten zuhause schwerfällt, und am Ende lernt man dann, mit den Erlebnissen und Gefühlen umzugehen (9).
Wie an allen Krisen kann man auch am Heimkommen wachsen. Aus der Frustration und der gefühlten Einsamkeit kann nach der Überwindung innere Stärke und persönliches Wachstum entstehen (8).
Welche Faktoren über Schwierigkeiten beim Heimkommen entscheiden
Nun empfinden aber natürlich nicht alle Menschen das Heimkommen als gleich belastend. Ganz im Gegenteil: für viele hat es auch überwiegend angenehme Seiten. Was aber sind Faktoren, die mitbestimmen, wie einfach oder schwierig es jemandem fällt, wieder gut daheim anzukommen? Ich habe auch hierzu einiges gefunden:
Persönliche Variablen
- Geschlecht: Das Geschlecht ist einer der deutlichsten Prädiktoren für einen RCS, Frauen berichten mehr Probleme beim Heimkommen, evtl. weil es ihnen schwerer fällt, dass an sie erwartete Rollenbild zu erfüllen (4)
- Alter: Je älter, desto weniger Readaptionsschwierigkeiten. Kinder und Jugendliche spüren einen umgekehrten Kulturschock stärker als Erwachsene. Ein stabiles Selbstbild und klares Benennen der eigenen Emotionen mindert die Probleme beim Heimkommen, und das weisen Erwachsene eher auf als junge Menschen, die ihre Identität erst noch entwickeln (2)
- Persönlichkeitsvariablen: Offenheit, persönliche Stärken, Positivität, starkes Selbstbild, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit erleichtern das Ankommen zuhause (4)
- Laut einer neuen, aktuellen Studie aus 2020 berichten jene Austauschschüler:innen nach ihrer Heimkehr die größten Probleme, die a) wenig Bindung an den Kulturkreis zuhause empfinden, b) ein hohes Level an Explorationsverhalten zeigen und c) ein hohes Maß an Neubetrachtung (also keine starre Meinung) aufweisen. Sie tauchen damit sehr leicht in die andere Kultur ein und finden sich darin zurecht, dann aber schwer wieder zurück (3)
Situationsvariablen
- Kulturelle Distanz: Je weiter das Herkunftsland von jenem, in dem man war, kulturell entfernt ist, desto schwerer fällt die Wiederanpassung
- Kontakt mit Leuten im Herkunftsland: je mehr Kontakte man zuhause nach seiner Rückkehr wieder pflegt, desto schneller fällt die Anpassung (4)
- Studierende, die während ihres Auslandsaufenthaltes öfters nach Hause geflogen sind, zeigten weniger Schwierigkeiten beim endgültigen Heimkommen (5).
Auch die kulturelle Identität entscheidet darüber, die leicht oder schwierig uns das Heimkommen fällt. Dabei gibt es verschiedene Ansätze. Einer stammt von Cox 2004, der die Gestaltung der kulturellen Identität in vier Muster einteilt: Zuhause favorisierend, Gastgeber favorisierend, integriert und desintegriert. Am leichtesten fiel Personen das Heimkommen, die die Kombination Zuhause favorisierend + integriert aufwiesen. Im Gegenzug fiel jenen, die sich als Gastgeber favorisierend + desintegriert beschreiben, die Rückkehr deutlich schwerer. Diese Erkenntnisse lehnen sich an Bennets Theorie der interkulturellen Sensitivität an, die unter anderem besagt, dass Menschen, die sich leicht tun, sich in verschiedenen Kulturen zu adaptieren, auch mit dem Heimkommen weniger Probleme haben. (4)
Ein weiteres spannendes Modell hat Adler 1981 postuliert: Er sagt, dass die Kombination aus Einstellung und Aktivitätsniveau darüber entscheidet, wie schnell sich jemand nach dem Heimkommen wieder adaptiert. Diesen Coping Mode kann man leicht verständlich in einem Diagramm darstellen. Wer optimistisch und aktiv ist, kann sich als proaktiv bezeichnen – man sucht aktiv und zuversichtlich den Kontakt zurück in die eigene Kultur, was meist gut gelingt. Optimistisch und passiv kann sich als resozialisiert betrachten – man lässt sich mit zurücktreiben. Die Kombination aus pessimistisch und aktiv resultiert in einer rebellischen Haltung, die gegen Teile der eigenen Kultur ankämpft. Pessimistische und passive Menschen hingegen finden sich oft im Zustand entfremdet wieder, fühlen sich also nicht mehr als Teil des eigenen Kulturkreises (4).
Heimkommen aus dem Ausland: so empfinden Reisende
Auch wenn es keine eigene Studie ist und daher nicht allgemeingültig, so hat es mich doch interessiert, was reiseerfahrene Menschen zum Heimkommen sagen. Dafür habe ich mich sowohl durch Artikel von Blogger:innen gelesen als auch meine Bubble auf Twitter dazu befragt. Dazu muss ich natürlich anmerken, dass einige der Blogger:innen nicht nur gereist sind, sondern ihre längere Reise oft auch mit einem Volontariat oder einem Auslandssemester verbunden haben. Auffallend für mich war, dass jene, die rein vom „Urlaub“ sprechen, das Heimkommen oft positiver wahrnehmen.
Insgesamt wurden aber weit mehr negative Wahrnehmungen genannt als positive, einige lassen sich auch nicht eindeutig zuordnen und haben sowohl positive wie auch negative Eigenschaften an sich. So haben Heimkommende zum Beispiel das Wäsche waschen nach einer Reise zugleich als nervig als auch als stabilisierende Routinetätigkeit beschrieben.
In folgender Tabelle habe ich die Aussagen aufgelistet, jeweils absteigend von häufig bis selten genannt.
Besonders interessant finde ich die Nennungen
- Endlich wieder dunkles Brot: Das ist in der Tat eine Besonderheit des deutschsprachigen Kulturraums. Nirgendwo wird das heimische Brot so sehr vermisst wie in D-A-CH. Auch Expats antworten auf die Frage, was sie im Ausland am meisten vermissen, zumeist: heimisches Brot.
- Zuhause kann sowohl Freiheit als auch den Verlust von Freiheit bedeuten. Manche fühlen sich auf Reisen frei, weil sie in den Tag hineinleben und jenen Aktivitäten nachgehen können, die ihnen Freude bereiten. Andere empfinden die eigenen vier Wände als Freiheit, weil sie hier agieren und leben können, wie sie wollen.
- Das Auseinanderdriften von Welten bezog sich meist auf das soziale Umfeld: durch die Veränderungen an einem selbst spürt man, dass gewisse Personen nicht mehr ganz zu einem passen. Betrachtungen der Lebensrealitäten gehen dann so weit auseinander, dass man kaum mehr Gemeinsamkeiten findet, die eine Freundschaft aufrechterhalten.
Die Tatsache, dass Haustiere so oft als positiver Punkt beim Heimkommen genannt wurden, kann ich seit April 2022 gut verstehen. Seit Panther unser Haus belebt, hat Wegfahren und Heimkommen eine andere Bedeutung für mich. Während ich früher kein Heimweh kannte, so vermisse ich ihn auf Reisen jetzt sehr und freue mich aufs Heimkommen. Was so ein kleines Wesen alles verändern kann!
Auch die Tatsache, dass wir seit letztem Jahr in einem wunderschönen Haus mit tollem Garten wohnen, hat meine Sicht aufs Reisen und Heimkommen verändert. Ich habe nicht mehr nur eine Wohnung, ich habe ein Heim, einen Garten, dessen Früchte auf mich warten. Nach Hause zu kommen fühlt sich jetzt definitiv anders an.
Was kann man tun, um wieder gut daheim anzukommen
Für manche ist also Heimkommen überhaupt keine Schwierigkeit, manche kämpfen aber damit. Einige tun sich schwer, wieder im Alltag und in der eigenen Kultur anzukommen. Was kann man also tun, um diesen Prozess konstruktiv zu unterstützen?
Was in vielen Studien auffällt: Die Vorbereitung eines Austauschsemesters ist von den Organisationen oft sehr gut, die Nachbereitung fehlt allerdings oft. Dabei könnten Kurse und Gruppen für Heimkehrer das Wiederankommen meist erleichtern (1).
Wiedereingliederungsprogramme wären auch für Firmen vorteilhaft, die ihre Fachkräfte für längere Zeit ins Ausland schicken. Denn immerhin ein Viertel aller heimgekehrten Expats sucht sich bald nach der Rückkehr einen neuen Job, weil sie sich im neuen alten Leben nicht mehr zurechtfinden. Das heißt, mit einem Programm zur Re-Assilmilation könnten Firmen dazu beitragen, dass ihnen ihre Fachkräfte nicht verloren gehen (8).
Man weiß, dass soziale Unterstützung im Rückkehrprozess eine wesentliche protektive Rolle spielt. Durch das Abwenden von Personen verstärken sich Probleme durchs Heimkommen also noch (5). Aktiv den Kontakt zu verständnisvollen Menschen zu suchen, wirkt daher unterstützend.
Befus hat 1988 ein dreistufiges Verfahren dazu entwickelt, das gegen den umgekehrten Kulturschock helfen soll und auf drei Ebenen beruht: die physiologische, behavioral-soziale und intellektuelle Ebene.
- Physiologie: körperliche Reaktionen wahrnehmen, Atemübungen, progressive Muskelentspannung
- Behavioral-Sozial: Herausfinden, welche Verhaltensweisen aus dem Reiseland hier zu sozialen Unstimmigkeiten führen bzw. welche von zuhause man selbst als störend empfindet
- Intellekt: kulturelle Unterschiede benennen und verstehen lernen (5)
Auch Routinen helfen, zuhause anzukommen, sie geben Sicherheit, machen die Umwelt vorhersagbar und vermitteln das Gefühl von Kontrolle (8).
Weitere Tipps kommen von den Reisenden selbst. Sie berichten, dass ihnen folgendes geholfen hat, einen guten Weg zwischen dem Zurückwünschen und dem Ankommen Zuhause zu finden:
- Fotos bearbeiten und anschauen, auf Social Media posten, ein Fotobuch gestalten
- Erlebnisse erzählen, evtl. aufschreiben
- landestypisch Kochen und Musik hören
- noch Zeit fürs Zuhause nehmen und nicht gleich arbeiten gehen
- Das Zuhause schön herrichten/einrichten, sodass man gern nach Hause kommt
- Sich an den kleinen Dingen zuhause freuen
- Heimkommen als Teil der Reise sehen und sich freuen, wohlbehalten zurück zu kommen
- Weitere Urlaubs-/Ausflugsideen schmieden
- Bald drauf wieder kleinere Reisen unternehmen
- Den Fokus auf das Gute im Heimatland legen
- Bewusst wieder anknüpfen an den bestehenden Kontakten
- Mit Menschen, die man auf Reisen kennen gelernt hat, in Kontakt bleiben
- Bei Langzeitreisenden: Seminare/Gruppen für Rückreisende besuchen und in Austausch gehen
- Akzeptanz der Gefühle, die aufkommen
Heimkommen – Hürden und Wege
Du siehst, das Thema Heimkommen ist sehr umfangreich. Ich hätte noch zig Studien lesen und zusammenfassen können, aber das hätte wohl den Rahmen eines Blogartikels gesprengt, zumal wir die eigentliche Ausgangsfrage, was das Heimkommen von einer Urlaubsreise mit uns macht, immer noch nicht abschließend beantwortet hätten. Wir können uns das Fazit nur herleiten, ich muss mich dabei auf anekdotische Evidenz verlassen. Ob ich gerne selbst eine aussagekräftige Studie darüber machen würde? Das kannst du annehmen!
Zusammenfassend lässt sich aber festhalten, dass es sowas wie einen umgekehrten Kulturschock beim Heimkommen wirklich gibt, der durchaus ernst zu nehmen ist, von verschiedenen persönlichen und situativen Faktoren abhängt und wir proaktiv viel dafür tun können, um uns im Zuhause wieder zuhause zu fühlen. Sowohl Fachpersonal, aber auch Familienmitgliedern und sozial nahestehenden Personen ist anzuraten, Probleme von Heimkehrenden ernst zu nehmen und diese im Ankommen zu unterstützen. Heimkommen ist ein Prozess, der mehr oder minder gut gelingen kann. Viele empfinden es als positiv, aber eben nicht alle. Sich nach der Rückkehr fehl am Platz zu fühlen, ist durchaus normal.
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Berichte von anderen Blogger:innen zum Thema Heimkommen
Ein umfassendes Sammelsurium an Gedanken zum Heimkommen von Bloggerinnen und Bloggern gibt es in der Blogparade von Heldenwetter. Sie hat die Eindrücke in diesem Artikel auch nochmal kurz und prägnant zusammengefasst.
Zusätzlich zu den Artikeln in der oben genannten Blogparade hab ich mich auch noch durch die von Rapunzel will raus, Smilesfromabroad und Bravegirls gelesen und mitgefühlt.
Quellenangabe
1 https://www.uvm.edu/~vtconn/v20/howell.html
2 http://www.tlu.ee/~marilk/Artiklid/Gaw2000.pdf
3 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0147176719301191
5 https://trace.tennessee.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3414&context=utk_graddiss
7 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/jcop.22520
8 Buch „The Art of coming home“
10 https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14616688.2018.1545251
11 https://lexikon.stangl.eu/2632/akkommodation und https://lexikon.stangl.eu/530/assimilation/
PIN IT!
Was für ein toll recherchierter und ausführlicher Artikel! Den lege ich gerne meinen Studierenden im Fach Cross Cultural Competencies ans Herz. Das geht es u.a. auch um die Lösungsansätze, wie man mit der W-Kurve umgeht.
Liebe Grüße,
Sanne
Danke dir! Das freut mich, wenn er diesbezüglich weiterhilft! LG
Ich bin zufällig über diesen interessanten – sowie für mich amüsanten – Bericht gestolpert, da ich einen Ihrer Reiseberichten gelesen hatte. Gern gereist bin ich seit meiner Kindheit, als ich mit meiner englischen Familie hier gewohnt hatte und wir viel Gelegenheit hatten, Westeuropa zu entdecke . Damals mochte ich das deutsche Brot gar nicht – aber heute ist es tatsächlich das einzige worüber ich mich freue, wenn ich nach Hause komme!
Ich lebe das zweite Mal jetzt (sehr gerne) in Deutschland und mittlerweile im wunderschönen Ahrtal. Trotzdem freue ich mich nie, nach Hause zu kommen. Das ist einfach immer so bei mir gewesen, da ich einfach super gerne anderswo bin und mich dort am liebsten eintauche inklusive Sprache soweit es geht. Ich will im Ausland nichts von zuhause wissen und kann keine Nachrichten. sehen oder hören, gar die deutsche Sprache nicht. Ich vermute, ich gehöre zu einer weiteren Gruppe Menschen, die nur angedeutet wurde… Gibt es anderen, die auch so fühlen?