Mit Kindern reisen – Wirkungen und Veränderungen

Mit Kindern reisen – Wirkungen und Veränderungen

Ein gemeinsamer Artikel von den Bloggerinnen Tina von Der Taucherblog und Barbara von Reisepsycho zum Thema „Mit Kindern reisen“: wie verarbeiten Kinder die Reisen  und wie kann es sie auch verändern.

Mit Kindern reisen: in der Wüste mit dem Jeep

„Können sie sich überhaupt daran erinnern?“ ist eine Frage, die ich oft gestellt bekomme, wenn ich von den Reisen mit unseren Kindern erzähle. Dabei geht es ja beim Reisen nicht nur darum, Bilder im Kopf abzuspeichern, sondern um Erfahrungen, Erlebnisse, Herausforderungen und Abenteuer. Im besten Fall werden Erinnerungen an eine gemeinsame Zeit daraus. Aber die Reisen in andere Länder machen viel mehr mit den Kindern, als wir es uns vielleicht vorstellen können. Um diese Einflüsse einzuordnen, habe ich mich für diesen Beitrag mit der Psychologin und Reisebloggerin Barbara Horvatits-Ebner zusammengetan.

Tina hat aufgeschrieben, wie sie mit Kindern reisen erlebt und teilt ihre Eindrücke und Erfahrungen dazu. Ich versuche dann jeweils eine fachliche Einordnung dazu. Zum besseren Erkennen sind die Absätze von Tina in Normalschrift, meine Anmerkungen dazu dann in Kursiv.

Rituale und Routinen verändern

Viele Eltern kennen das. Das Kind isst nur bestimmte Lebensmittel, will nur die eine Hose tragen oder braucht zum Einschlafen ein ganz bestimmtes Ritual. Manche Kinder haben ganz feste Rituale oder Gewohnheiten, die wir Erwachsenen schon fast als zwanghaft empfinden. Reisen wirbelt diese kleinen Menschen daher ganz schön durcheinander. Das mag im ersten Moment für Eltern und Kinder herausfordernd sein, je nachdem wie stark das Kind diese Dinge braucht.

Ich persönlich hatte schon echte Horrortrips, weil eines der Kinder stundenlang im Zimmer getobt hat, da ihm das Bett nicht gefallen hat. Gewöhnt sich aber ein Kind während einer Reise an neue Umstände, so kann das zu einem enormen Schub im Selbstvertrauen des Kindes kommen. Der kleine Mensch merkt, dass ihm nichts passiert, wenn er Dinge anders macht oder sich auf etwas Neues einlässt. Vielleicht hat das Kind auch Ängste entwickelt, einen Aberglauben. So denkt es, wenn es Dinge auf eine ganz bestimmte Art und Weise macht, dann passiert nichts Schlimmes. Bricht es mit diesem Ritual, geschehen furchtbare Dinge. Auf einer Reise merkt das Kind aber, dass nichts passiert und kann diesen Aberglauben ablegen.

Mit Kindern reisen: Durch die Wüste laufen
Mit genug Sicherheit kann man auch mal selber entdecken

Das magische Denken

Diesen Aberglauben nennen wir in der Psychologie die Phase des magischen Denkens. Kinder brauchen ganz viel Struktur, um die komplexen Vorgänge in der Welt verstehen zu können. Dabei hilft ihnen das magische Denken, so nach dem Motto „Wenn ich A mache, dann passiert B“. So bleibt die Welt für die Kinder subjektiv berechenbar. Oft gehen sie auch davon aus, wenn sie eine bestimmte Sache nicht machen bzw. sagen oder eben genau das tun, dass dann etwas Schlimmes passiert.

Manchmal geht dem auch eine Erfahrung voraus (z.B.: Das Kind hat Orangensaft getrunken, danach hat es erfahren, dass die Oma schwer krank ist. Somit denkt es, dass Orangensafttrinken zu Krankheiten bei Familienmitgliedern führt). Auf Reisen kann es durch die veränderten Lebensumstände passieren, dass es seine magisch verarbeiteten Handlungen nicht mehr ausführen kann, was manchmal zu Panik führt. Hier hilft die Sicherheit der vertrauten Bezugsperson, dass alles gut ist und die neuerliche Erfahrung, dass nichts Schlimmes passiert.

Rituale

Zwanghaftes Verhalten im Kindesalter ist übrigens absolut normal. Ähnlich wie beim magischen Denken legen sich Kinder oft selbstgewählte Strukturen zurecht, die nur für das Kind selbst Sinn ergeben und jedes Mal gleich bzw. mehrmals pro Tag durchgeführt werden müssen. Abweichungen davon enden oft im emotionalen Ausnahmezustand. Das Bedürfnis nach Struktur zeigt sich auch in den Ritualen, die Kinder brauchen. Gerade, wenn sich die Umstände um das Kind herum ändern (neue Orte etwa), geben diese Rituale enorme Sicherheit.

Manchmal sind die Rituale aber auch sehr stark an „zuhause“ geknüpft und das Kind hat das Gefühl, dass es das auf Reisen nicht braucht. Das ist völlig in Ordnung und stellt einen Schritt in Richtung Autonomie dar. Dieses Autonomiestreben sollte gestärkt werden und Eltern dürfen so bei der Veränderung von Ritualen mitmachen.

Wellenreiten mit Luftmatratze
Wenn der Spaß stimmt, dürfen Dinge auch mal anders laufen

Neue Bindungen knüpfen

Auf Reisen treffen wir auf Menschen, die wir im Alltag nicht unbedingt treffen. Menschen, die ganz anders aussehend, sprechen oder essen, als die Kinder es gewohnt sind. Kinder sind frei von Vorurteilen, aber dennoch manchmal schüchtern und etwas misstrauisch.

Auch wenn diese Beziehungen oft nur von kurzer Dauer im Urlaub sind, so sind sie oft ganz intensiv, da sie mit Abenteuern und vielen Eindrücken verknüpft sind. Deshalb reden Kinder oft noch lange von Menschen, die sie auf Reisen treffen durften und verbinden das positiv in ihren Erinnerungen.

Meine Kinder haben oft andere Kinder auf dem Spielplatz oder bei Aktivitäten kennengelernt. Manchmal sind es auch Besuche bei Freunden im Ausland, die besonders im Gedächtnis bleiben. Oder der lustige Wachmann im Hotel, der immer ein nettes Wort für die Kinder – und ein Bonbon – übrig hat. Die Kinder sprechen noch lange von diesen kurzen Bekanntschaften, an die sie sich besonders positiv erinnern.

Mit Kindern Reisen: Tiere streicheln
Auch Beziehungen zu Tieren entwickeln sich auf Reisen

Der Wert sozialer Interaktion

Wie wir wissen, sind Bindungen ganz entscheidend für die Entwicklung von Kindern. Diese sozialen Verknüpfungen mit anderen Menschen, die den Kindern wohl gesonnen sind, formen Kinder charakterlich. Sie geben ihnen Sicherheit und beeinflussen Kinder nachhaltig und positiv.

In der Kommunikation und Interaktion lernen sie viel über soziales Verhalten, über Nähe und Freundschaft. Zum Beispiel, dass auch ganz fremde Menschen aus andern Ländern gut zu ihnen sind und zu Freunden werden können, wenn auch nur auf Zeit. Ist das Reiseland anderssprachig, lernen Kinder auch viel über nonverbale Kommunikation, etwa das sprichwörtliche Reden mit Händen und Füßen, aber auch über Mimik.

Die geistige Entwicklung durch neue Eindrücke fördern

Sich in einem neuen Umfeld zurecht zu finden ist schon für uns Erwachsenen nicht ganz einfach. Auf Reisen sind wir oft erschlagen von Eindrücken, Gerüchen, Lärm oder Chaos. Auch besonders schöne Orte berühren uns tief und lösen viel in uns aus. Wie mag das für Kinder sein, die noch nicht so viel von der Welt gesehen haben wie wir? Sie saugen alle diese Eindrücke auf, sind wie kleine Schwämme. Bilder, Worte, Gerüche, Sehenswürdigkeiten: All das speichern sie in ihren kleinen Köpfen und verarbeiten dieses Eindrücke während der Reise.

Noch lange nach einer Reise reden die Kinder von diesen Eindrücken. Sie erinnern sich an ein besonders gutes Eis an einer Promenade an einem See. Oder die Pyramiden, wie groß die waren. An die Straßen von Kairo, denn die waren besonders laut. Sie verknüpfen aber dieses Wissen gleich mit anderen Situationen. Wenn sie ein Buch sehen, auf dem eine Ägypterin ist, wissen sie gleich, wie die gelebt hat und dass der König dort in einer Pyramide begraben ist. Sie wissen, dass die großen Boote, die sie im Fernsehen sehen, auch nach Venedig fahren. Sie stellen den Bezug her, dass die Erde bei uns im Garten so trocken ist wie der Sand in der Wüste, den sie ja angefasst haben. Das zu sehen, wie sie Wissen aufbauen und sich erinnern, ist faszinierend.

Mit Kindern reisen: Vor den Pyramiden
Solche Szenen prägen sich den Kindern gut ein

Wie passiert lernen?

Lernen passiert am besten multimodal, das heißt, über verschiedene Wahrnehmungskanäle. Etwas nur zu hören, ist eine Sache, es zu sehen, angreifen zu können, Rückmeldung zu erhalten und darüber zu erzählen das andere. Wie wir selbst aus Erfahrungen wissen, ist Reisen eine hoch multimodale sensorische Angelegenheit. Das ist auch mit der Grund, warum selbst Erwachsene viel auf Reisen lernen – und Kinder erst Recht.

Kindergehirne sind noch sehr stark in Veränderung. Man geht davon aus, dass die Gehirnentwicklung bei uns Menschen erst mit ca. 25 Jahren abgeschlossen ist. Bis dahin geschieht ein wahres Feuerwerk in unserem Kopf: Nervenzellen und deren Synapsen bilden und verbinden sich, Datenautobahnen werden angelegt, nicht Gebrauchtes wird wieder abgebaut und neue Assoziationen sorgen für einen Umbau. In den ersten drei Lebensjahren erhöht sich die Zahl der Nervenzellen im Gehirn somit von 100 Milliarden auf 300 Billionen!

Neue Verknüpfungen entstehen dann, wenn wir mit neuen Dingen konfrontiert sind. Natürlich ist im besten Fall das Leben zuhause anregend genug gestaltet (also nicht deprivativ), sodass ein lernförderliches Umfeld entsteht. Auf Reisen hat man das jedenfalls garantiert: andere Sprachen, Speisen, Landschaften usw. bieten den Kindern täglich unfassbar viele neue Eindrücke. Man kann ihnen helfen, diese zu verarbeiten, indem man mit ihnen über ihre Erlebnisse spricht, zeichnen lässt etc.

Mit Kindern reisen: Schwimmen lernen im Urlaub
Ein Bild von mir aus dem Jahr 1992: auf Teneriffa hab ich im Pool schwimmen gelernt

Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein

Wenn wir Eltern die Kinder als Partner auf Augenhöhe sehen, dann fördert das ungemein das Selbstbewusstsein der Kinder. Ich versuche immer, die Kinder voll mit einzubeziehen, im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Grenzen. Auch wenn wir unterwegs sind. So gebe ich jedem Kind den eigenen Reisepass in die Hand und schicke sie vor zur Passkontrolle. Natürlich bin ich jede Sekunde direkt hinter ihnen, aber ich überlasse ihnen die Interaktion mit den Grenzbeamtinnen. Die Kinder gehen nach bestandener Passkontrolle mit stolzgeschwellter Brust hinaus. Sie lernen, dass sie gesehen und gehört werden, ein irrer Schub für ihr Selbstbewusstsein.

Ich beziehe sie auch dann mit ein, wenn etwas mal nicht so gut läuft. Frage sie, ob sie sich an den Weg zum Air BnB erinnern oder ob sie eine Idee haben, was wir in diesem fremden Land essen könnten. Ich nehme ihre Ideen auf und zeige ihnen, dass sie etwas bewegen und beitragen können. So gewinnen Kinder mehr Sicherheit in sich selbst, in ihr Handeln und Tun. Sie erfahren, dass sie Dinge erreichen können und das man als Team alles schaffen kann. Auch in Kairo oder Venedig können sie selbst etwas machen und erleben so ihre Selbstwirksamkeit in einem ihnen fremden Umfeld.

Kind klettert auf Wellenbrecher
Einfach mal über andere und die eigenen Grenzen blicken

Woran Kinder wachsen

Viele Entwicklungsschritte gehen nur langsam von sich, und wir bemerken Veränderungen erst in der Rückschau. Nicht so aber beim Selbstbewusstsein: Sobald Kinder merken, dass sie etwas für sie Schwieriges geschafft haben, wirken sie unmittelbar um 5cm größer. Dabei vollzieht sich das Wachstum innerlich, aber doch sichtbar. Zu erleben, wie stolz sie auf sich sind, wenn sie etwas vollbracht haben, ist eine ganz wundervolle Rückmeldung an das Umfeld.

Kinder wollen Dinge verstehen, erleben, selber machen. Mit sicherer Rückendeckung im Hintergrund durch die Bezugspersonen trauen sie sich auch oft zu, sich in gänzlich neuen Situationen zu behaupten. Dabei gilt wie so oft: Spüren sie die Sicherheit der Eltern, gibt ihnen das das nötige Selbstvertrauen. Merken sie aber die Ängstlichkeit, agieren sie selbst auch oft unsicher. Es ist daher ratsam, auch selbst an seinem Vertrauen dem Kind gegenüber zu arbeiten, damit man es beim innerlichen Wachsen gut begleiten kann.

Gerade auf Reisen bieten sich immer wieder solche neuen, unbekannten Situationen, in denen sie sich und ihr Umfeld ganz neu entdecken können. Sie dabei einzubeziehen, zeigt ihnen, dass sie ernst genommen und ihnen etwas zugetraut wird. Und wenn sie am gemeinsamen, unvergesslichen Urlaub mitarbeiten dürfen, wird es auch zu IHREM Reiseerlebnis.

Familie klettert bei Wasserfall herum
Unvergesslich: das Klettern beim Wasserfall im Kärtnen-Urlaub damals

Die Welt sehen, wie sie ist

Das kling trivial, ist es aber nicht. Denn Kinder kennen nur einen Bruchteil der Welt. Sie können sich unter vielen Dingen, die sie hören und sehen, in der Realität nichts vorstellen. Reisen hilft ihnen, diese Welt zu erkunden und einzuordnen, was sie später in den Nachrichten oder in Gesprächen hören. Sie lernen, dass ein Kind in Ägypten genauso spielt wie ein Kind in Österreich. Das Giovanni, Mahmoud oder Dragan ganz normale Namen sind, die es halt auch in Österreich geben kann.

Sie lernen, dass Menschen nett sind, dass es in manchen Ländern eine schlimme Umweltverschmutzung gibt und viel Armut. Idealerweise lernen sie, dass Menschen eigentlich gleich sind. Klar haben die Menschen in anderen Ländern vielleicht unterschiedliche Frisuren, Haare oder Kleidung haben. Die Kinder dort sprechen eine andere Sprache und essen andere Sachen als sie. Aber die Kinder lernen auch, dass wir alle in grundsätzlichen Dingen gleich sind. Das führt hoffentlich zu viel Toleranz, Liebe und Neugierde auf die große, weite Welt.

Mit Kindern reisen: Vor alten Ruinen
Es gibt so viel zu sehen und zu entdecken!

Dazu brauche ich nicht mehr viele Worte verlieren, denn Tina hat ganz wunderbar schon alles gesagt! Daher: zeigt euren Kindern die Vielfalt der Welt, die Wunder der Natur und die Verschiedenartigkeit der Menschen. Es ist Wissen, dass bleibt.


Mit Kindern reisen Pin


 

Teile diesen Beitrag


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.