Eierkratzen in Stinatz | Das Handwerk und ein Selbstversuch
Die gekratzten Eier aus Stinatz sind mittlerweile weit über die Landesgrenzen des Burgenlands hinaus bekannt. Die filigran verzierten Ostereier sind seit vielen Jahren ein traditionelles Geschenk und verzaubern durch das Handwerk, das dahintersteckt. Ich war bei einem Profi auf diesem Gebiet zu Gast und durfte dabei nicht nur viel Theoretisches, sondern auch Praktisches über das Eierkratzen in Stinatz lernen.
Für alle, die nicht wissen, wo Stinatz liegt: Es ist ein beschauliches Dorf im Bezirk Güssing in Südburgenland, unweit von Stegersbach. Stinatz ist eine burgenlandkroatische Ortschaft und damit offiziell zweisprachig. Es leben ca. 1250 Menschen in Stinatz – die Möglichkeit besteht, dass es mittlerweile mehr gekratzte Eier als Stinatzerinnen und Stinatzer gibt 😉 Die gekratzten Eier aus Stinatz sind eine Berühmtheit für sich. In ganz Österreich werden sie nur hier in dieser Technik verziert. Der Kabarettist Thomas Stipsits, dessen Großmutter auch aus Stinatz ist (und nebenbei die Patentante meines Vaters) hat sie schlussendlich allen, die sie noch nicht kannten, mit seinem Buch “Eierkratzkomplott” berühmt gemacht. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass wohl dieses viral gegangene Video am meisten zur Bekanntmachung vom Eierkratzen in Stinatz beigetragen hat: Da ich selbst ja zur Hälfte Stinatzerin bin, wollte ich einmal herausfinden, ob ich das Talent zum Eierkratzen vielleicht im Blut hab. Dafür habe ich eine Frau besucht, die das definitiv hat: Wilma Zieserl. Wie es sich für so eine kleine Ortschaft gehört, kennen wir uns natürlich seit meinen Kindertagen – sie ist die Tante meiner Cousine 🙂 . Die Technik des Eierkratzens ist aus den slawischen Staaten bekannt. So gibt es gekratzte Eier aus der Slowakei, aus Polen, Tschechien, auch aus Ungarn, Siebenbürgen und aus Kroatien. Aus letzterem dürfte der Brauch ins Burgenland gekommen sein. Die Burgenlandkroaten leben zwar schon seit dem 16. Jahrhundert hier, dennoch hat es immer wieder engen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch gegeben. Das Brauchtum “Eierkratzen in Stinatz” ist jedenfalls weit jünger als die Ortschaft selbst. Mal liest man von einem ersten Auftreten vor ca. 100 Jahren, mal von etwa 150. Das älteste bekannte gekratzte Ei aus Stinatz stammt übrigens aus dem Jahr 1907 (hier geht’s zum ORF Beitrag dazu). Somit kann man immerhin das Aufkommen des Eierkratzens im Burgenland weit vor dem Ersten Weltkrieg datieren. Damals wurden die Eier übrigens noch nicht ausgeblasen, sondern gekochte Eier wurden verziert – und dann wie heutige Ostereier meistens gegessen. Daher gibt es auch kaum noch gekratzte Ostereier von früher. Wilma Zieserl hat das Eierkratzen von ihrer Mutter gelernt. Diese wiederum hat das Kunsthandwerk in den 1950ern zu praktizieren begonnen. “Damals war es nicht so einfach, Eier fürs Kratzen zu kriegen”, erzählt Wilma, aber ihre Mutter habe trotzdem immer welche für die Verwandtschaft gehabt. Sonderwünsche – wie es heute oft üblich ist – hat sie aber nicht berücksichtigt. Jedenfalls habe es die Technik des Eierkratzens schon lang gegeben, als Wilmas Mutter Theresia selbst damit begann. Früher war Eierkratzen in Stinatz eine Beschäftigung, der viele Frauen nachgingen. Dabei stellten sie vor allem für die Patenkinder Ostereier her. Mittlerweile sind es nur mehr vier Frauen, die das Handwerk gut beherrschen. Deren Eier sind aber heiß begehrt: Kundinnen und Kunden gibt es aus ganz Österreich, ja sogar aus den Nachbarländern. Und weil es unglaublich viele ausgewanderte Burgenländer in den USA gibt, findet man die gekratzten Eier aus Stinatz selbst dort. Wilma und ich treffen uns an einem heißen Junitag zum Eierkratzen in Stinatz. Ostern ist schon etliche Wochen vorbei. “Da hab ich aber nie Zeit”, meint Wilma schmunzelnd und begründet so unseren späten Termin. “Ich sag schon gar nichts mehr”, meint Wilmas Mann Hermann angesichts der Tatsache, dass seine Frau in den 10 Wochen vor Ostern weniger schläft und nur mehr Augen für die bunten Eier hat. Unermüdlich kratzt sie für ihre Stammkunden und alle, die es werden wollen, die wunderschönen Stinatzer Ostereier. Warum sie sich die Arbeit nicht auf das Jahr aufteile? “Da bin ich nicht in der richtigen Stimmung dafür”. Jetzt, wo der Trubel weniger ist und das Leben wieder in geordneten Bahnen verläuft, nimmt sie sich die Zeit aber gerne, um mich in die Handwerkskunst des Eierkratzens einzuführen. Denn eines ist klar: So eine Geduldsaufgabe geht nur außerhalb der Auftragsarbeit. Während wir kratzen, erfahre ich auch allerhand Wissenswertes rund um die Eier. Eine Sache, die tatsächlich schon lange vor Ostern passieren muss, ist das Ausblasen der Eier. Wilma ist es wichtig, dass diese sicherheitshalber “ausstinken” und lässt sie daher gut ein halbes Jahr liegen. Sind sie gut abgelegen, werden die Eier gefärbt. Dabei sei die Schwierigkeit, dass sie sich nicht vollfüllen und untergehen. Sie habe aber mittlerweile ihre eigene Technik, auch für die Trocknung, sodass keine Liegestellen entstehen. Nach dem Färbe- und Trocknungsprozess kommt die eigentliche Kunst: das Kratzen. Dafür gibt es eigene “Kratzer” – geschliffene Stahlmesser. Auch die werden mittlerweile bei ihr im Haus formvollendet, sodass sie perfekt als Werkzeug dienen. Man merkt in all ihren Beschreibungen: Wilma überlässt nichts dem Zufall. Die Motive – zumeist Blumenmuster, Herzen und Palmkätzchen – sind traditionell. Sie kratzt zum Großteil immer noch die, die sie von ihrer Mutter gelernt hat, wenn auch in ihrem Stil. In sagenhaften 20 Minuten kratzt sie ein normalgroßes Ei mit einem Standardmuster. Wenn man ihr zuschaut, sieht man sofort: Da sitzt jeder Strich! Wilma gesteht: “Ich werde mit den Jahren aber immer genauer”. Ist das Ei fertig gekratzt, wird vorläufig ein Garn eingezogen, das Kunstwerk mit Klarlack überzogen und zum Trocknen aufgehängt. Ganz zum Schluss kommt dann das Woll- oder Satinband ins Ei, mit dem man es an den Osterstrauch hängen kann. Wie lange dauert es, bis ein gekratztes Ei den ganzen Prozess durchlaufen hat? Das kann man nicht genau sagen, weil die Vor- und Nachbereitungen ja gesammelt mit zig Eiern erledigt werden und nicht einzeln. Aber so eine Dreiviertelstunde dürfte es schon sein, schätzt Wilma. So gesehen macht das Eierkratzen allein gerade mal die Hälfte der Zeit aus. Es kommt allerdings stark auf das Motiv und natürlich die Größe der Eier an. Denn beim Eierkratzen in Stinatz werden nicht nur Hühnereier kunstvoll verziert, sondern auch Gänse-, Nandu- und Straußeneier. Dabei gilt: Je größer das Ei ist, desto schwerer ist es zu kratzen. Wenn’s ums Eierkratzen in Stinatz geht, nimmt man richtigerweise an, dass es sich hierbei um lange Tradition handelt (siehe oben), die die immergleichen Ergebnisse hervorbringt. Doch auch so ein Kunsthandwerk verändert sich. Wilma erinnert sich: Während früher eigentlich nur rote und schwarze gekratzte Eier produziert wurden – schwarz hatte man vom Schusterlack, rot gab es als Farbe zu kaufen – gibt es heute alle Farben. Zunächst durch die heute bekannten Ostereierfarben lila, blau und grün erweitert, bietet die Farbpalette heute auch Metallic- und Pastellfarben. Diese werden im Vorhinein zwei Mal lackiert, einmal mit Farbe, anschließend mit Gold- oder Silberacryl. Lackiert werden sie abschließend aber nicht mehr. Bei den bunten, zweifärbigen Eiern kommt zusätzlich zur klassischen Eierfarbe noch ein Edding zum Einsatz, denn zuerst wird das gefärbte Ei gekratzt und das Muster dann mit dem Stift nachgemalt. Wie oben schon erwähnt, wurden früher auch nur gekochte Eier gekratzt, das ist aber schon seit Mitte der 1980er nicht mehr so. Mittlerweile werden sie ausgeblasen. Auch neue Stile haben sich entwickelt, manche davon sind in Kooperation der Eierkratzerinnen entstanden. Seit einigen Jahrzehnten gibt es etwa die tollen gekratzten Eier mit Namen oben. Ich habe als Kind so eines geschenkt gekriegt, wusste bis zu unserem Treffen aber nicht, wer es produziert hat. “Ja, das war ich”, strahlt sie – und ich strahle mit! Einige Ideen hatte Wilma ganz allein: So kam sie drauf, dass sich ungefärbte Bio-Eier auch gut kratzen lassen – das Ergebnis ist ein sehr dezentes, natürliches Osterei. Auch beim letzten Verarbeitungsprozess gab es in den vergangenen Jahren Neuerungen: Während früher nur Wolle für die Fäden verwendet wurden, kommen nun auch Satinbänder zum Einsatz. Gerade bei den Metallic-Eiern sieht das sehr chic aus. “Man muss mit der Zeit gehen”, sagt Wilma, und das ist bei ihr keine leere Phrase. Daher setzt sie auch Sonderwünsche um, etwa Barbie-Eier, Firmennamen oder ganze Sprüche auf den Eiern. Natürlich bin ich nicht nur zum Tratschen gekommen, sondern auch, um das Eierkratzen in Stinatz mal selbst auszuprobieren. Ich bin zwar weder sonderlich kreativ begabt noch habe ich Zeit für ein neues Hobby, aber ich bin neugierig und solche Traditionen faszinieren mich ungemein. Also lasse ich mir von Wilma alles erklären, was man über das Eierkratzen wissen muss und lege selbst das Messer an. Dabei lerne ich beim ersten Ei gleich mal die erste Lektion: Man braucht den richtigen Druck! Wer zu sacht kratzt, produziert nur unsichtbare Strichlein, wenn es aber zu fest ist, zerbricht das Ei. Während man ersteres noch korrigieren kann, kommt bei zweiterem leider jede Hilfe zu spät. Also ab an das nächste Ei. Nachdem ich mir auch beim Zweiten schwer tue damit, ordentliche Kratzer zu machen, legt mir Wilma einen Wechsel des Messers ans Herz. Und siehe da: Plötzlich geht es wesentlich einfacher! Lektion 2 lautet also: Du brauchst genau das Werkzeug, das zu dir und deinen Händen passt. Nun kratze ich die ersten richtigen Striche vor mich hin und wage mich recht bald an eine Blume. So hübsch und filigran wie Wilma schaffe ich das nicht, was aber klar ist, denn (um ihre Worte zu benutzen): Es wäre ja auch traurig, wenn man keinen Unterschied merken würde zwischen jahrelanger Übung und dem ersten Versuch. Also übe und kratze ich weiter und habe schon bald mein erstes, vollständiges Osterei gekratzt und dabei Lektion Nummer 3 gelernt: Eierkratzen ist wirklich so meditativ, wie Wilma immer behauptet! Also entscheide ich mich dazu, gleich noch eines zu machen. Ich muss sagen, hätte ich ausreichend Zeit in meinem vollgepackten, intensiven Leben, wäre das Eierkratzen die richtige Tätigkeit für mich. Ich würde die tollsten Muster produzieren, vielen Menschen eine Freude bereiten und das Wichtigste: ein altes, vom Aussterben bedrohtes Handwerk am Leben erhalten. Doch leider habe ich diese Zeit nicht und wüsste auch nicht, woher ich sie nehmen soll. Was ich aber tun kann: Hier davon erzählen und euch einen Eierkratzworkshop bei Wilma ans Herz legen! Man kann Wilma Zieserl aber auch persönlich unter 0664 / 65 83 350 erreichen und einen Termin vereinbaren. Die wunderschönen, gekonnt verzierten Eier aus Stinatz sind eine sehr begehrte Ware – und nur vier Frauen sorgen derzeit für Nachschub am Ostereiermarkt. Jahrelang und seit Kinderzeiten an haben sie die berühmten Eier gekratzt und ihre Technik verfeinert. Mittlerweile kommen sie im ersten Quartal des Jahres zu gar nichts anderem mehr als zum Eierkratzen. Falls das Handwerk jemand lernen möchte: Hexenwerk ist es keines, ganz im Gegenteil. Bis die gekratzten Eier wirklich schön sind, braucht man natürlich viel Übung, aber die Technik dahinter ist schnell gelernt. Ich hatte wirklich viel Spaß dabei und kann es nur jeder Person empfehlen, es unter fachkundiger Anleitung auch mal auszuprobieren. Vielleicht steckt in der einen oder anderen ja ein verborgenes Eierkratztalent! Du willst noch mehr über das Burgenland von mir lesen? Dann hier lang: Ganz viele Infos, Tipps und Ausflugsziele gibt’s natürlich in meinem Buch Südburgenland – 75 Ausflugsziele zum Entdecken und Erleben PIN IT!Woher kommt das Eierkratzen?
Zu Besuch bei einer Profi-Eierkratzerin
Viele Schritte zum gekratzten Ei
Eierkratzen, aber modern
Eierkratzen selbst versuchen
Eierkratzen in Stinatz – hoffentlich noch lange